Weitgehend unerforschte Ökosysteme

Ruben Sommaruga, Professor am Institut für Ökologie, erforscht im Rahmen eines von FWF geförderten Projekts die Konsequenzen des Rückgangs der Gletscher auf die Strukturen und Funktionen von Bergseen. Unterstützt von seinem Team untersucht er das mikrobielle Leben in den Seen.

Gletscherseen gehören weltweit zu den bisher am wenigsten erforschten Seen und das, obwohl die meisten Seen in Nordamerika und Europa durch das Schmelzen von Gletschern nach der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 bis 12.000 Jahren entstanden sind. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese Seen genauer unter die Lupe zu nehmen. Wie erste Ergebnisse zeigen, haben sich die Untersuchungen bereits gelohnt.

Faselfad-Seen bei St. Anton als Forschungsstandort. (Foto credit: Univ.-Prof. Ruben Sommaruga)

Faselfad-Seen bei St. Anton als Forschungsstandort. (Foto credit: Univ.-Prof. Ruben Sommaruga)

Tausende Seen entstehen

Bedingt durch den Klimawandel gehen die Gletscher immer mehr zurück. Ihr Abschmelzen und eine geeignete Topographie am Berg bedingen das Entstehen tausender neuer Seen, nicht nur in Tirol. Gemeinsam mit seinem Team hat Sommaruga in den Faselfad-Seen im Verwalltal in der Nähe von St. Anton den idealen Forschungsstandort gefunden. Trotz des schwer zugänglichen Geländes besuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler regelmäßig die Seen, um Proben zu nehmen und die Umweltbedingungen aufzuzeichnen. „Die sechs Faselfad-Seen bieten die ideale Voraussetzung als Forschungsstandort, da auf sehr kleinem Raum trübe und transparente Seen, alle vom selben Gletscher stammend, nebeneinander zu finden sind. Drei davon sind etwa gleich groß und tief, was die Voraussetzungen weiter optimiert“, erklären Sommaruga und sein Mitarbeiter Dr. Hannes Peter. Die erst kürzlich entstandenen Seen sind noch von der Gletschermilch stark getrübt, während die bereits älteren Seen weniger trüb oder sogar schon transparent geworden sind. Noch kann man nicht genau feststellen wie lang es dauert, bis ein trüber See transparent wird. Die Forscherinnen und Forscher gehen von einer Zeitspanne von etwa 25 bis 60 Jahren aus, die geologisch betrachtet sehr kurz ist. Im Projekt untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit modernsten Technologien die mikrobiellen Lebensgemeinschaften in den Seen. „Mikroben sind vermutlich die ersten Lebewesen die solche Ökosysteme besiedeln. Die Ergebnisse der Untersuchungen an unserem Forschungsstandort lassen Rückschlüsse zu, wie sich diese Gemeinschaften nach der Eiszeit entwickelt haben könnten“, sagt Hannes Peter. Die Bakterien kommen auf unterschiedlichsten Wegen in neu entstandene Gletscherseen. Transportiert von Vögeln, Wind oder Regen können sie auf dem Gletscher oder bereits direkt im See „landen“. Sommaruga ist erstaunt, dass sich selbst in den jüngsten Seen eine große Diversität mikrobiellen Lebens feststellen lässt.

Mikrobielle Lebensgemeinschaften entwickeln sich

Die unterschiedlich alten Seen der Faselfad-Region bilden eine Chronosequenz der Besiedlung und ermöglichen es Sommaruga und seinem Team, zu beobachten, wie sich mikrobielle Lebensgemeinschaften entwickeln. Das Zusammenleben von Bakterien, Flagellaten, Viren und Mikroalgen steht im Mittelpunkt der Untersuchungen. „Solange die Seen direkt mit dem Gletscher verbunden und von der Gletschermilch noch trüb sind, müssen Bakterien und andere mikrobielle Bewohner des Sees mit schwierigen Bedingungen zurechtkommen“, erklärt der Wissenschaftler. Durch die Trübung gelangt nicht genügend Licht in den See, das für die Photosynthese der Mikroalgen jedoch unverzichtbar ist. Daher können die Algen nur wenig organischen Kohlenstoff, die wichtigste Nahrungsquelle für Bakterien, produzieren. Mit der Zeit verliert der See seine Verbindung zum Gletscher, die Partikel oder Gletschermilch, die die Trübung der Seen ausmachen, sedimentieren auf den Grund ab, wodurch er nahezu transparent wird. Mit dieser äußerlich sichtbaren Veränderung wandeln sich auch die Lebensbedingungen unter Wasser. Die Mikroalgen bekommen mehr Licht, wodurch mehr Nahrung für die Bakterien entsteht. Damit können sich auch Populationen von größeren Organismen etablieren, da für sie nun auch genügend Nahrung zur Verfügung steht. Wasserflöhe, heterotrophen Flagellaten und Viren sind bedeutende Mortalitätsquellen für Bakterien in klaren Seen, haben aber in trüben Seen Schwierigkeiten ihre Nahrung effizient aus dem Wasser zu filtern oder, im Fall von Viren, zu infizieren.

Einzigartige Forschungsmethoden

Um diese Seen so genau wie möglich untersuchen zu können, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Arbeitsgruppe „Lake and Glacier Ecology“ in Kollaboration mit Forschern des Max Planck Instituts in Deutschland die einzigartige Möglichkeit, eines von nur fünf weltweit zu Verfügung stehenden Geräten zur Charakterisierung des organischen Kohlenstoffs (ultrahigh-resolution mass spectrometry) verwenden zu können. In Verbindung mit modernsten DNA Sequenziermethoden erlaubt diese Technik ein ganz neues Verständnis der Wechselwirkungen in diesen Seen. Sommaruga erzählt begeistert: „Uns eröffnen sich ganz neue Erkenntnisse. Es ist, als würden wir eine bisher schwarze Box öffnen.“ Spektakulär ist nicht nur die Forschungsmethode im Labor. Da die Seen in einem nur sehr schwer zugänglichen Gebiet liegen, nutzen Ruben Sommaruga und sein Team die Möglichkeit, gemeinsam mit den sensiblen Geräten per Helikopter zu den Seen zu gelangen. Sommaruga hat bereits einige Ergebnisse seiner Untersuchungen vorzuweisen, doch bleiben immer noch viele Fragen offen. Das Team arbeitet weiter daran, das Leben in den Gletscherseen zu erforschen.

*Source: Universität Innsbruck

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