Auf dem Meeresboden der Tiefsee (unterhalb von 200 m) lagern wertvolle Rohstoffe: Gashydrate, Sulfidablagerungen sowie metallreiche Krusten und Knollen – Mangan zum Beispiel, ein Element, das zur Herstellung von Mobiltelefonen oder Kraftfahrzeugen benötigt wird. Die Erschließung dieser Rohstoffquellen birgt neben den technischen Herausforderungen das Risiko, irreversible Umweltschäden zu verursachen. Lebensräume und Lebensgemeinschaften voller noch unbekannter Arten könnten zerstört werden. Gefördert durch das 7. EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation studiert ein europäisches Team die Möglichkeiten und Gefahren des Rohstoffabbaus am Grund der Tiefsee. Das Ziel von MIDAS (Managing Impacts of Deep Sea Resource Exploitation) ist es, zusammen mit der Industrie und Regierungspartnern, Richtlinien für den schonenden Abbau von Rohstoffen zu erstellen, um den Lebensraum Tiefsee zu schützen. Drei Jahre haben die Beteiligten dafür Zeit. Das Deutsche Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung (DZMB)/Senckenberg am Meer unter der Leitung von Prof. Dr. Pedro Martinez Arbizu bringt biologische Kompetenz und langjährige Erfahrung aus früheren Tiefseeuntersuchungen ein. Da die Untersuchungsgebiete nicht nur tief unten, sondern auch weit draußen auf dem Meer liegen, sind die Forscher regelmäßig auf Expedition. Die Wissenschaftlerin Stefanie Kaiser macht sich gerade zusammen mit vier weiteren Senckenbergern wieder auf den Weg nach Hawaii, um von dort aus zu den Manganknollenfeldern im Pazifik zu fahren.
Ein Manganknollenfeld – ist das einfach ein Stück Meeresboden, auf dem Manganknollen herumliegen und auch Tiere leben? Was passiert, wenn man die Knollen „erntet“?
S. Kaiser: Die metallhaltigen Knollen wachsen über Millionen von Jahren, wenn die weg sind, kommen für eine lange Zeit keine neuen nach. Die Maschinen, die die Knollen bergen würden, tragen den Meeresboden ab. Die potenziellen Auswirkungen auf die Tiefseefauna in dem Gebiet sind ähnlich einer sogenannten Eisbergstörung: Wenn ein Eisberg, der seinen größten Teil unter Wasser hat und dabei einige hundert Meter Tiefe erreichen kann, über den Grund kratzt, hinterlässt er eine Spur, in der erstmal alles kahl ist. Die Frage ist: Kommen die Lebewesen hierher zurück und wie lange brauchen sie für die Wiederbesiedlung? Es gibt in der Tiefsee ein Gebiet, in dem vor ca. 30 Jahren mit Maschinen eine Spur in einem Manganknollenfeld gezogen wurde; anhand von Fadenwürmern hat man dort festgestellt, dass die meisten Arten bis heute nicht zurückgekommen sind.
Gibt es in der Tiefsee für solche Manganknollenfelder, eine ganz typische und einzigartige Lebensgemeinschaft oder kommen die einzelnen Tierarten auch außerhalb der Manganknollenfelder vor?
Wir wissen noch nicht genau, ob es typisch ist, was wir dort finden, und auch noch nicht, ob und wie sich die Biodiversität in den einzelnen Gebieten unterscheidet. Es ist wichtig zu wissen, wie weit die Verbreitung einzelner Arten ist. Dies versuchen wir anhand genetischer Methoden herauszufinden. Denn es kann sein, dass ähnliche Lebensgemeinschaften und Arten auch außerhalb der Manganknollenfelder vorkommen – was gut wäre, denn das wäre eine Ressource für die Wiederbesiedlung. Es gibt Arten im Sediment und solche, die auf den Knollen leben, letztere wären nach einem Abbau auf jeden Fall langfristig weg.
Und was kommt danach?
Es ist schwer vermittelbar, warum Lebensgemeinschaften schützenswert sind. Man kann es nicht an der einzelnen Art festmachen, ob sich ein Gebiet erholt, sondern es ist ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Faktoren. Zum Beispiel, gibt es Tiere, die auf das Dasein anderer Organismen angewiesen sind, weil sie beispielsweise mit Schwämmen assoziiert leben; da muss erst eine Struktur wieder aufgebaut sein, damit andere Arten einwandern können.
In diesen Tiefen gibt es eine unglaubliche Vielzahl von winzigen Krebsen und Würmern, von denen man den überwiegenden Anteil dieser Arten noch nicht kennt und nicht weiß, wie weit sie verbreitet sind. Und da liegt unsere Aufgabe, Methoden zu entwickeln, um die Biodiversität und Ausbreitung einzelner Tiergruppen zu erfassen, um dann Aussagen treffen zu können, inwieweit sie durch den Abbau beeinträchtigt werden, ob und wie schnell Arten gestörte Gebiete wiederbesiedeln könnten.
Wie weit ist man technologisch: Ist der Abbau der Manganknollen und der anderen Rohstoffe in so großer Tiefe überhaupt schon technisch und wirtschaftlich realisierbar?
Die Idee, Rohstoffe aus so großen Tiefen zu holen, ist mehrere Jahrzehnte alt. Für den Abbau von Manganknollen gibt es Pläne für Maschinen, die jedoch noch nicht realisiert wurden. Der Abbau von marinen Sulfiden, die an Hydrothermalquellen in der Tiefsee vorkommen, wurde schon an einer Stelle im Pazifik getestet und das Interesse der beteiligten Länder ist groß, diese Rohstoffe in naher Zukunft in größerem Umfang abzubauen.
Das MIDAS Projekt soll Abbau und Naturschutz vereinbaren, geht so etwas überhaupt?
Wir versuchen Standards und Protokolle für einen schonenden Abbau zu entwickeln. Erstmal müssen wir jedoch wissen, welche Arten dort überhaupt vorkommen und dann wie sich die Biodiversität in den einzelnen Gebieten unterscheidet. Das ist die Grundlage, auf der jede mögliche Veränderung zum Beispiel der Biodiversität und der Artenzusammensetzung gemessen werden kann. Ein Ziel ist es also, biologische Indikatoren zu definieren und einzusetzen, um Schäden an Ökosystemen abschätzen zu können.
Am MIDAS Projekt sind 32 Organisationen aus ganz Europa beteiligt, es gibt regelmäßige Treffen, aber wie arbeiten so viele Menschen aus so unterschiedlichen Bereichen eigentlich zusammen?
Eine besondere Herausforderung ist, eine gemeinsame Sprache zu finden, weil sehr unterschiedliche Disziplinen „an Bord“ sind. Wir arbeiten mit unseren biologischen Erkenntnissen den anderen zu. Darunter sind z.B. Juristen, für die es wichtig ist, ausreichend von den biologischen und geologischen Gegebenheiten zu verstehen, um darauf aufbauend zu formulieren, wie mit diesen Gebieten umgegangen werden kann. Es ist eine Stärke des Projektes, dass wir voneinander lernen können, und alle an einem Strang ziehen, um die Tiefsee mit ihren einzigartigen Lebensformen nachhaltig zu schützen.
Vielen Dank für das Gespräch und Gute Reise!
Dr. Stefanie Kaiser ist seit Herbst 2013 bei Senckenberg am Meer. Die Biologin ist spezialisiert auf die Biologie, Verbreitung und Biodiversität von Tiefsee-Asseln, also mikroskopischen am Meeresboden lebenden Krebsen, im pazifischen Raum und Südpolarmeer.
Die Fragen stellte Regina Bartel.
*Source: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung