Wollen, was andere begehren

Menschen wollen immer mehr und vor allem das, was andere haben. Dieses Verhalten kann vom Sandkasten bis zur internationalen Politik beobachtet werden. Dr. Jodok Troy, Politikwissenschaftler und Spezialist für internationale Politik, analysiert in einem FWF-Projekt, wie sich dieses Verlangen in der Politik wiederspiegelt.

„Das, was wir wollen, ist oft das, was andere wollen“, so erklärt Jodok Troy einen zentralen Ansatz der mimetischen Theorie nach René Girard, der ein Grundstein seiner theoretischen Analysen ist. Der Wissenschaftler erläutert, dass diese Einstellung bereits bei Kindern feststellbar ist. Beobachtet man Kinder beim Spielen, so lässt sich ein spezifisches Phänomen erkennen: Das interessante Spielzeug ist jenes, das die anderen haben. Das Verlangen, das zu wollen, was andere wollen, lässt sich nicht nur im kindlichen Spiel beobachten. „Vielmehr ist es ein grundsätzliches menschliches Bedürfnis, das wir nicht immer bewusst steuern können“, so Troy. Das Spiel, das im Sandkasten beginnt, könne allerdings schnell gefährlich werden.

Begehren verursacht Konflikte

René Girard, Literaturwissenschaftler und Kulturanthropologe, entwickelte das antike Prinzip der Mimesis weiter. Die ursprüngliche Wortbedeutung stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Nachahmung“. Girard adaptierte diese Vorstellung und versucht, in seiner Theorie des mimetischen Begehrens, einen Zusammenhang zwischen Nachahmung und Gewalt herzustellen. Diese besondere Beziehung nimmt Jodok Troy zum Anlass, Prämissen von Menschen und Macht in einer theoretischen Analyse genauer unter die Lupe zu nehmen. „Zu wollen, was andere wollen, kann auch schnell gefährlich werden. Dies passiert dann, wenn das begehrte Objekt exklusiv wird. Schnell entwickeln sich Tendenzen wie ‚wir gegen euch’ oder ‚Der Westen gegen den Rest der Welt’“, konkretisiert der Wissenschaftler. Das individuelle Begehren orientiert sich zwar an jenem der anderen, allerdings werden die Interessen jener bei politischen Konflikten ignoriert. René Girard erklärt mit dieser Ansicht auch die Entstehung von Eifersucht, Neid und Gewalt. „Dass wir das begehren, was andere begehren, hat grundsätzlich noch kein großes Konfliktpotenzial“, so Troy. Allerdings wird ein Objekt, das von mehreren Seiten begehrt wird, bald zum umkämpften Gegenstand. Dies ist der Mechanismus, durch den Konflikte entstehen, die auch in Kriegen enden können. Der Wissenschaftler präzisiert diese Annahmen anhand eines Beispiels: „Staaten sehen, dass es bei ihren Nachbarn funktioniert hat, Nuklearwaffen zu beschaffen, also wollen sie dieses Begehren auch befriedigen. Dies ist allerdings immer abhängig davon, welches Vorbild nachgeahmt wird und in was für einer Wirklichkeit der jeweilige Staat sich sieht.“ Es kann das Verlangen nach nuklearer Abschreckung, nach dem „Krieg gegen den Terrorismus“ oder danach sein, sich an Normen und Werte wie der Abrüstung zu orientieren. Die mimetische Theorie baut darauf auf, dass der Mensch, abgesehen von der Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse wie Essen und Trinken, nicht wirklich weiß, was er will. Bedürfnisse und Begierden seien kulturell geformt und richteten sich nach dem, was eine Zeit, Mode oder Ideologie als begehrenswert idealisiere. Jodok Troy analysiert dieses Verhalten anhand von konkreten Testfeldern.

Auf der Straße entstehen politische Veränderungen

Rivalität, Neid und Eifersucht entstehen häufig an Orten, wo Menschen in sehr engem Kontakt zueinander leben oder sich durch die Globalisierung virtuell näher kommen. Der Politologe untersucht in seiner Analyse auch die demographischen Entwicklungen in der internationalen Politik. „Wenn man sich die Tendenzen ansieht, dann ist Globalisierung insgesamt von Urbanisierung gekennzeichnet“, erläutert Troy. Die Tatsache, dass mittlerweile bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt und die Menschen daher in dichten urbanen Räumen zusammengedrängt sind, führt zu mehr Spannungen. „Viele gegenwärtige, gerade innergesellschaftliche Konflikte haben ihren Ausgangspunkt auf der Straße genommen – egal, ob auf dem Tahrir-Platz in Kairo oder dem Maidan in der Ukraine“, so der Wissenschaftler. „Besonders gut sieht man das am ‚Arabischen Frühling‘. Eine Veränderung der Machtverhältnisse kann auch von unten, von den Menschen auf der Straße, kommen, wenn die politische Entwicklung der gesellschaftlichen hinterher hinkt“, erklärt Jodok Troy. Der Einfluss internationaler Beziehungen sei auch an Beispielen aus jüngster Zeit beobachtbar. Der Konflikt in Syrien bestätigt, wie sensibel das Eingreifen anderer Staaten ist. „In Syrien, würde ich sagen, ist es so, dass von vielen gefordert wird, etwas zu tun, aber niemand weiß genau, was getan werden soll, weil alles, was man tun könnte und müsste, ein militärisches Eingreifen erfordern würde und die USA dahingehend sehr vorsichtig geworden sind“, veranschaulicht Troy. Weiteres erklärt er: „Das westliche Verlangen, irgendetwas zu tun, ohne genau abzuwägen, was die Folgen sind, ist ein grundsätzliches Problem in der internationalen Politik, das sich in Syrien sehr deutlich widerspiegelt.“ Ein Grund, dass es unter den betreffenden Staaten keinen Konsens über eine Intervention gibt, sei das Eingreifen des Westens in der Vergangenheit, etwa in Libyen. Was zum Schutz von Zivilisten ausgeschrieben war, wurde zu einer Militärintervention, an deren Ende der Wechsel der Regierung und die Vertreibung Gaddafis stand. Verlangen wird in diesen Beispielen auf mehreren Ebenen sichtbar. Zum einen begehren die Menschen eine Veränderung und setzen dabei ihre Macht ein, um von unten Druck auf die Regierung auszuüben und zum anderen wird das Verlangen des Westens, politisch einzugreifen und die Jagd auf Sündenböcke im Namen der Sorge um die Opfer thematisiert.

Sündenböcke gesucht

„Wir versuchen tagtäglich für irgendwelche politischen Missgeschicke Sündenböcke zu suchen. Sei es eben das angebliche persönliche Machtverlangen von bestimmten Politikern oder wem auch immer – aber so leicht ist es eben in der Realität nicht“, erklärt Troy. Der Sündenbock sei ein weiterer zentraler Aspekt der mimetischen Theorie, den der Politologe in Rahmen seiner Analysen untersucht. Die Ausbreitung der Gewalt kann zur mimetischen Krise führen, in der die Gewaltspirale durch die Opferung eines Sündenbocks unterbrochen wird. Die tatsächliche Schuld spielt bei der Bezeichnung des Sündenbocks keine Rolle. Die Gruppe empfindet einen letzten Gewaltakt an einem Opfer als eine Art Abschluss der gewalttätigen Handlungen. Troy betont, dass die Begriffe „Opfer“ und „Sündenbock“ in der Realität nur schwer zu unterscheiden sind.

Jodok Troy hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen neuen Blick auf bisher bestehende Theorien der Internationalen Beziehungen und der internationalen Politik zu werfen. Mit analytischem Vorgehen versucht er, zwischen den gegebenen Strukturen der Gesellschaft und der Politik sowie den einzelnen politischen Akteuren einen Mittelweg zu finden. Philosophische und anthropologische Ansätze helfen dabei, den klassischen Realismus wieder neu zu entdecken und weiter zu denken. Es ist nicht nur die Struktur des internationalen Systems, das keine zentrale Machtdurchsetzungsinstanz kennt, welches internationale Politik formt, es ist auch der Wille und die Fähigkeit von einzelnen Akteuren, zu handeln. Dies aber zu verstehen und zu erklären bedarf eines praxisorientierten Verständnisses und Blickes auf Politik, der in vielen Theorien leider zu kurz kommt.

*Source: Universität Innsbruck

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