Flimmern in den Atemwegen erwünscht

Forscherteam klärt wichtigen Regulationsmechanismus bei der Flimmerhärchenbildung in Zellen der Luftröhre und Lunge auf

Das Innere unseres Körpers ist buchstäblich eine haarige Angelegenheit. Mithilfe winziger Flimmerhärchen befreien Zellen unsere Atemwege von Staub, Schleim und Krankheitserregern oder bewegen sich Eizellen und Spermien vorwärts. Sind diese Härchen in ihrem Aufbau oder ihrer Funktion gestört, können Atemwegserkrankungen oder Unfruchtbarkeit die Folge sein. Wissenschaftler am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie haben zusammen mit Kollegen an der University of California in Berkeley (USA) und der Universität Göttingen nun entschlüsselt, über welchen Mechanismus die Verankerung der Flimmerhärchen an der Zelloberfläche gesteuert wird. Ihre Ergebnisse tragen dazu bei, die Ursachen von Atemwegserkrankungen besser zu verstehen. (Nature, 5. Juni 2014)

Nur Bruchteile von Millimetern klein unterschätzt man Flimmerhärchen leicht in ihren Fähigkeiten. Doch wenn Hunderte von ihnen im Gleichklang peitschenartig schlagen, erzeugen sie eine kräftige Strömung, die unsere Atemwege reinigt und die Lunge schützt. Eizellen aus dem Eierstock erreichen dank ihrer Hilfe die Gebärmutter. Nicht zuletzt geben Flimmerhärchen während der frühen Entwicklung des Embryos im Mutterleib die Richtung vor. Indem sie bestimmte Botenstoffe verteilen, sorgen die Härchen dafür, dass sich die Organe an der richtigen Stelle ausbilden. Ist dieser Prozess gestört, kann ein Situs inversus die Folge sein: Alle Organe liegen spiegelverkehrt im Körper.

Um nicht von der eigenen Schlagkraft mitgerissen zu werden, benötigen die agilen Flimmerhärchen allerdings eine gute Verankerung. Diese Aufgabe übernimmt der sogenannte Basalkörper. Diese Struktur aus verschiedenen Proteinen verbindet das Flimmerhärchen an seinem Fuß fest mit der Zelloberfläche. Forscher am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie, der Universität Göttingen und der University of California in Berkely haben jetzt entdeckt, dass bei der Verankerung und Ausbildung der winzigen Härchen sechs kleine Nukleinsäure-Moleküle – sogenannte Mikro-RNAs – eine Schlüsselrolle spielen. Je zur Hälfte stammen sie aus den Genfamilien miR-34 und miR-449.

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Lungenzellen mit ihren charakteristischen beweglichen Flimmerhärchen. Image credit: © Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Lungenzellen mit ihren charakteristischen beweglichen Flimmerhärchen. Image credit: © Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

In den „behaarten“ Zellen der Luftröhre und Lunge sind diese sechs Mikro-RNAs besonders aktiv. Zigarettenrauch beispielsweise reduziert ihre Menge maßgeblich und könnte eine der Ursachen für die bekannten Schädigungen der Atemwege bei Kettenrauchern sein. Um die Rolle der beiden Genfamilien in Zellen der Atemwege genauer zu untersuchen, schalteten die Wissenschaftler alle sechs Mikro-RNAs in Mäusen aus. „Als Folge entwickelten die Nager Symptome, die auch Menschen mit einer seltenen Atemwegserkrankung namens Primäre Ziliäre Dyskinesie zeigen“, sagt Michael Kessel, Leiter der Forschungsgruppe Entwicklungsbiologie am MPI für biophysikalische Chemie.

Menschen, die an Primärer Ziliärer Dyskinesie (PCD) leiden, haben zu wenige oder verkürzte Flimmerhärchen. Als Folge leiden Betroffene unter immer wiederkehrenden Atemwegserkrankungen, und auch Unfruchtbarkeit ist verbreitet. Bei rund der Hälfte der PCD-Patienten sind zudem die Organe seitenverkehrt angelegt. „Ein ganz ähnliches Krankheitsbild sehen wir bei Mäusen, denen alle sechs Mikro-RNAs fehlen. Auch diese Nager erkranken an den Atemwegen und sind zusätzlich unfruchtbar. Einen Situs inversus entwickeln sie dagegen nicht“, berichtet Kessel. „Auch bei diesen Tieren sind die Flimmerhärchen auffällig verändert: Sie sind zu kurz, in ihrer Anzahl stark reduziert oder fehlen ganz.“ Offensichtlich haben die Mikro-RNAs eine wichtige Aufgabe bei der Ausbildung der Härchen. Doch welche ist das und wie funktioniert dies auf molekularer Ebene?

„Wie wir in unseren Experimenten zeigen konnten, schalten die Mikro-RNAs ein wichtiges Schalterprotein namens Cp110 aus. Ist Cp110 aktiv, blockiert es die Bildung der Flimmerhärchen und sorgt während der Embryonalentwicklung dafür, dass die Härchen erst genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort entstehen. Schalten die Mikro-RNAs das Cp110 nicht rechtzeitigt aus, stoppt Cp110 das Härchenwachstum zu lange – mit fatalen Folgen. Die Basalkörper wandern nicht richtig und die Härchenbildung ist deutlich geschädigt“, schildert Alexander Klimke, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe von Michael Kessel.

„Unsere Vermutung war, dass die Mikro-RNAs gewissermaßen den Startschuss für die Flimmerhärchen-Bildung geben, indem sie das Cp110 abschalten“, ergänzt Forschungsgruppenleiter Kessel. Um ihre Annahme zu überprüfen, machten die Wissenschaftler das Kontrollexperiment: Sie schalteten nicht nur die sechs Mikro-RNAs, sondern auch den Cp110-Schalter ab. „Wie wir erwartet hatten, fanden wir weitgehend funktionierende Flimmerhärchen. Die Basalkörper bildeten sich normal aus und positionierten sich richtig. Auch die Härchen waren unauffällig“, so Muriel Lizé, Dorothea Schlözer-Forschungsstipendiatin am Institut für Molekulare Onkologie an der Universität Göttingen. „Die sechs Mikro-RNAs werden wie vermutet benötigt, um Cp110 zur rechten Zeit zu stoppen, damit sich die Flimmerhärchen entwickeln können.“ Da die sechs Mikro-RNAs in allen Wirbeltieren vorkommen, hofft das Forscherteam, dass der neu entdeckte Regulationsmechanismus dazu beiträgt, die molekulare Biologie der Flimmerhärchen und die Ursachen von Atemwegserkrankungen wie Primäre Ziliäre Dyskinesie oder andere chronische Lungenerkrankungen besser zu verstehen. (cr)

*Source: Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

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