Forschungsteam untersucht Verwandtschaftsverhältnisse in der Steinzeit am Beispiel einer Fundstelle in Israel
In der Steinzeit zogen Männer zu ihren Frauen: Neue Auswertungen einer mehr als 9.000 Jahre alten Ausgrabungsstätte im Bergland westlich von Nazareth in Israel legen nahe, dass Kinder in der Jungsteinzeit hier in der Gemeinschaft ihrer Mütter lebten, während Männer von außen zur Gruppe hinzukamen und sie möglicherweise auch wieder verließen. Dies lässt auf gleichberechtigte Beziehungen unter den Geschlechtern schließen – vermutlich waren es keine klassischen Familienverbindungen, sondern Verhältnisse auf Zeit. Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher der Universität Freiburg und der Danube Private University Krems/Österreich. Im Projekt SIGN (Segregation and Construction of Social Identities at the Transition from Foraging to Farming) haben sie Zähne und Schädel der prähistorischen Menschen von Kfar HaHoresh ausgewertet. Dr. Marion Benz hat SIGN während ihrer Assistenz am Institut für Vorderasiatische Archäologie der Universität Freiburg initiiert. Das Eliteprogramm für Postdoktorandinnen und Postdoktoranden der Baden-Württemberg Stiftung sowie die beteiligten Universitäten haben das Projekt gefördert.
Als Menschen vor mehr als 12.000 Jahren im Nahen Osten sesshaft wurden, mit Ackerbau und Tierhaltung begannen und in immer größeren Siedlungen lebten, mussten sie neue Sozialformen entwickeln. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten am Beispiel der Ausgrabungsstätte Kfar HaHoresh, wie diese Gemeinschaften strukturiert waren, indem sie verwandtschaftliche Beziehungen rekonstruierten. Durch das trockene Klima des Nahen Ostens wird das Erbgut prähistorischer Individuen schneller als in kühleren Regionen zersetzt, sodass es bislang kaum gelungen ist, genetische Verwandtschaftsbeziehungen über einen DNA-Abgleich festzustellen. Der Anthropologe Prof. Dr. Kurt W. Alt von der Danube Private University hat mit Kollegen schon in den 1990er Jahren ein Verfahren entwickelt, mit dem biologische Verwandtschaft durch einen Ähnlichkeitsvergleich von anatomischen Varianten an Zähnen und Schädeln nachvollzogen werden kann. Die Forscher nahmen für jedes Individuum mehr als 1.000 Merkmale auf und verglichen sie mit denen anderer steinzeitlicher Populationen aus der Region. Prof. Dr. Werner Vach vom Department für Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik der Universität Freiburg berechnete die Statistiken, die für diese Auswertungen grundlegend sind. Die Ergebnisse zeigen, dass verschiedene biologische Merkmale bei Frauen und Kindern in einigen seltenen Ausprägungen übereinstimmen, während die Männer keine auffälligen Gemeinsamkeiten in anatomischen Merkmalen mit den beiden anderen Gruppen aufweisen. Auf dieser Grundlage zogen die Forscher ihre Schlussfolgerungen zur Struktur der jungzeitlichen Gemeinschaft.
„Aufgrund der Besonderheiten der Fundstelle darf man diese Ergebnisse aber nicht verallgemeinern“, sagt Benz. Es gibt in Kfar HaHoresh nur wenige Siedlungsspuren, aber viele Gräber. Deshalb geht Ausgrabungsleiter Nigel Goring-Morris von der Hebrew University of Jerusalem/Israel davon aus, dass es sich um einen Kultplatz handelt, der für Bestattungsrituale aufgesucht wurde. Die Bevölkerungsstruktur jedoch deute nicht unbedingt auf einen Ritualplatz hin, sagt Alt: „Es wäre spannend, durch weitere Verfahren zur geographischen Herkunft und zum Mobilitätsverhalten der Individuen die Ergebnisse der Verwandtschaftsanalyse zu ergänzen und gegebenenfalls zu präzisieren. Auch die Weiterentwicklung der molekulargenetischen Methodik lässt für die Zukunft hoffen.“
Originalpublikation:
Alt K.W., Benz M., Vach W., Simmons T.L., Goring-Morris A.N.: Insights into the social structure of the PPNB site of Kfar HaHoresh, Israel, based on dental remains. PlosOne 16. Sept. 2015
*Source: Universität Freiburg