Eiszeitforscher Prof. Dr. Ralf-Dietrich Kahlke von der Senckenberg Forschungsstation für Quartärpaläontologie in Weimar hat den Ursprung der eurasischen Mammutfauna anhand von Fossilien aus über 500 Fundstellen rekonstruiert. Er kommt zu dem Schluss, dass nicht allein die globale Klimaabkühlung, sondern ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren die Entstehung und weite Ausbreitung der Mammutfauna verursachte. Die Studie ist online im Fachjournal „Quaternary Science Reviews“ erschienen.
Wer an Mammuts denkt, hat sofort schneebedeckte Landschaften im Kopf – und tatsächlich gehörten die Eiszeitriesen zu den am besten an Kälte angepassten Säugetieren in der Erdgeschichte. Doch die entfernten Verwandten heutiger Elefanten bevölkerten einst – gemeinsam mit anderen eiszeitlichen Großtieren, wie Moschusochsen, Fellnashörnern, Saiga-Antilopen und Rentieren – sehr viel weitere Areale, als man vermuten würde.
„Diese ‚Mammutfauna‘ genannte Tiergruppe bewohnte während der letzten Kaltzeit des Eiszeitalters, etwa zwischen 100.000 und 20.000 Jahren vor heute, ein Gebiet von Spanien im Westen bis zum Pazifischen Ozean im Osten und von der Arktis im Norden bis zum Mittelmeer im Süden – ein wahrhaft gigantischer Lebensraum.“, erzählt Prof. Dr. Ralf-Dietrich Kahlke, Leiter der Senckenberg Forschungsstation für Quartärpaläontologie in Weimar.
In mehr als zehnjähriger Forschungsarbeit hat Kahlke Fossilien aus den vergangenen 2,6 Millionen Jahren der Erdgeschichte von mehr als 500 Fundstellen aus dem gesamten eurasischen Raum analysiert. So konnte er erstmals Hauptregionen benennen, in denen sich Tierarten über mehrere Millionen Jahre hinweg zu kälteresistenten Begleitern der Mammuts entwickelten.
„Es zeichnen sich deutlich zwei Hauptquellen für den Ursprung der Mammutfauna ab: Zentralasiatische Steppen im Süden und arktische Tundren im Norden.“, erklärt Kahlke.
Durch die Kollision der indischen und afrikanischen Kontinentalplatten mit Eurasien vor etwa 50 Millionen Jahren entstanden Hochgebirgsketten, die sich von den Pyrenäen im Westen bis zum Himalaya und dem Tibet-Plateau im Osten erstreckten. Diese natürlichen Barrieren unterbanden den Zustrom feuchter Meeresluft aus dem Süden; als Folge dehnten sich in Zentralasien zunehmend steppenartige Landschaften aus. Der Veränderung der Landschaft folgte eine Anpassung der dortigen Tierwelt: Säugetiere, wie Saiga-Antilopen und frühe Fellnashörner gewöhnten sich an die trockenen Verhältnisse und zunehmend ausgeprägten jahres- und tageszeitliche Temperaturschwankungen. „Beste Voraussetzungen, um in späteren Eiszeitfaunen zu überleben!“, stellt der Weimarer Quartärpaläontologe fest.
Frühe Tundrengebiete im hohen Norden bildeten den zweiten Herkunftsraum für Tiere der späteren Mammutfaunen. Durch extraterrestrisch verursachte Abkühlungen der Atmosphäre und damit verbundene Veränderungen von Meerestemperaturen und
-strömungen, Meeresspiegelhöhe und kontinentaler Küstenlinien entstand in der Zeit vor 2,9 bis 2,6 Millionen Jahren ein zirkumpolarer Tundrengürtel. Diese neuen Kältesteppen eröffneten einigen Säugetieren kleiner und mittlerer Körpermasse neue Entwicklungsmöglichkeiten. Es entstanden beispielsweise Rentiere und Moschusochsen – zwei Tierarten, die sich später erfolgreich in die eiszeitlichen Mammutfaunen einreihten.
Vor etwa 460.000 Jahren verschwand der taigaähnliche eurasische Waldgürtel, der Steppe und Tundra getrennt hatte. Mammuts, Fellnashörner und Saiga-Antilopen wanderten aus dem innerasiatischen Raum bis nach Mitteleuropa. Aus dem Norden kamen Moschusochse, Rentier und Polarfuchs und die am besten an Trockenheit und Kälte angepassten Säugetiere beider Regionen vereinten sich in einer einzigen Tierwelt – der Mammutfauna.
„Die vielschichtige Entstehung zeigt: Nicht allein die globale Klimaabkühlung war der Schlüssel für die erfolgreiche Entwicklung der Mammutfauna. Vielmehr waren es mehrere Faktoren – geologische, biologische, klimatische und ökologische –, die letztlich zu der weiten Ausbreitung der Eiszeittiere führten.“, resümiert Kahlke.
Doch so erfolgreich die eiszeitlichen Großsäuger auch waren, die Klimaerwärmung und die Wiederbewaldung weiter Gebiete Eurasiens ab etwa 12.000 Jahren vor heute führte schließlich zum Untergang der am erfolgreichsten an die Kälte angepassten Tierwelt in der Entwicklungsgeschichte der Erde.
Als echte Überlebenskünstler des Eiszeitalters erwiesen sich Rentier, Moschusochse und Saiga-Antilope, die in ihren angestammten Herkunftsgebieten, der arktischen Tundra und der kontinentalasiatischen Steppe, bis heute existieren.
Publikation
Kahlke, R.-D., The origin of Eurasian Mammoth Faunas (Mammuthus-Coelodonta Faunal Complex), Quaternary
Science Reviews (2013), https://dx.doi.org/10.1016/j.quascirev.2013.01.012
*Source: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung