„Das könnte dir gefallen“ oder „Top-Serien für Sie“: Amazon, Netflix und Co. scheinen zu wissen, was wir mögen. Dahinter stecken Algorithmen, deren Bedeutung in allen Lebensbereichen immer mehr zunimmt. Der Wirtschaftswissenschaftler Roland Schroll beschäftigt sich mit den Auswirkungen von computerbasierten Verfahren auf unser Konsumverhalten.
Empfehlungen für eine neue Serie, ein passender Partner, unsere Kreditwürdigkeit oder die Suchergebnisse auf Google: Algorithmen sind längst Teil unseres Lebens geworden. Der Einfluss von automatisierten Entscheidungssystemen nimmt ständig zu und ist in vielen Bereichen nicht mehr wegzudenken. Dennoch: Algorithmen agieren im Hintergrund – für viele Menschen relativ unbemerkt. Was sie genau sind und vor allem wie sie funktionieren, ist nicht so einfach zu durchschauen. Das liegt vor allem auch daran, dass sich große Unternehmen wie Facebook oder Google nicht über die Schulter schauen lassen und die Wirkungsweisen ihrer Algorithmen nur teilweise transparent machen. „Ganz einfach formuliert ist ein Algorithmus eine Regel, die dem Computer sagt, wie er ein Problem lösen soll. Wenn A passiert, dann mach B, wenn B passiert, dann C und so weiter. Diese Systeme haben sich bis hin zu selbst lernenden Eigenschaften bis heute natürlich enorm verbessert und greifen in die Art und Weise, wie wir unsere Welt – vor allem online, aber auch offline – wahrnehmen, massiv ein“, erklärt Dr. Roland Schroll. Der Wirtschaftswissenschaftler am Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus lässt die Bedeutung von Algorithmen und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft schon seit mehreren Jahren in seine Arbeit einfließen. „Die rasanten Entwicklungen in diesem Bereich haben viele Zugänge zum Marketing quasi auf den Kopf gestellt und völlig neue Fragestellungen eröffnet“, sagt Schroll.
Sensibilisierung
Gerade in den letzten Monaten ist der Begriff „Algorithmus“ vor allem in negativen Zusammenhängen in Erscheinung getreten: Besonders in den sozialen Medien, allen voran Facebook, bewegen sich die User in so genannten Filterbubbles, also Informationsblasen, in denen von einem Algorithmus jene Informationen gefiltert werden, die zu den eigenen Vorlieben und Interessen passen zu scheinen. „Wenn mir das nicht bewusst ist, entsteht eine Welt, in der nur noch Informationen vorgefunden werden, die meine Haltung bestätigen, aber nicht unbedingt der Realität entsprechen – oder sie nur sehr eindimensional darstellen. Die politischen Ereignisse der letzten Zeit haben uns vor Augen geführt, mit welchen Problemen oder auch Gefahren diese Tatsache verbunden ist“, verdeutlicht der Wirtschaftswissenschaftler. Von einer grundsätzlichen „Verteufelung“ dieser automatisierten Systeme hält Schroll allerdings nichts: „Die tägliche Flut an Daten und Informationen wäre ohne Algorithmen nicht mehr sinnvoll erfassbar. Wir sind auf eine gewisse Vorsortierung angewiesen und hier leisten uns konstruktiv eingesetzte Algorithmen durchaus hilfreiche Dienste. Ohne eine automatisierte Verarbeitung von Informationen, wäre das Internet niemals so erfolgreich, wie es ist“. Dass man sich dieser Mechanismen grundsätzlich bewusst ist, hält Roland Schroll aber für umso wichtiger. Als Beispiel nennt der Wissenschaftler die Darstellung von Inhalten auf Facebook: „Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Facebook einem User bei jedem Mal neu einloggen im Durschnitt 1500 neue Inhalte anzeigen könnte. Das ist natürlich nicht sinnvoll – und hier greift der Algorithmus“.
Computerentscheidung
Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag: Völlig ausgeliefert ist man nicht. „Auf Facebook ist es zum Beispiel möglich, die Einstellungen so zu ändern, dass die Inhalte nicht nach ‚Top-Meldungen’ dargestellt werden, sondern in chronologischer Reihenfolge. Ähnliches ist in fast allen sozialen Netzwerken möglich“, so Schroll. „Ohne eine gewisse Sortierung wäre Facebook nicht ‚brauchbar’: Bis zu 100.000 einzelne Faktoren können darüber entscheiden, ob ein Beitrag in meinem persönlichen Newsfeed angezeigt wird oder nicht.“ Für die Suchmaschine Google stellt sich die Situation ähnlich dar. Was viele nicht wissen: Auch die Suchergebnisse bei Google – aber auch anderen Suchmaschinenanbietern – basieren auf Algorithmen. „In meinen Lehrveranstaltungen zu Online-Marketing lasse ich immer wieder Studierende ein und denselben Begriff in die Suchmaschine eingeben – und die Ergebnisse sind individuell unterschiedlich, was immer wieder zu großer Verwunderung führt“, sagt Schroll. Auch hier hängt das Suchergebnis natürlich von vielen verschieden Faktoren ab. Von der persönlichen „Suchgeschichte“ bis hin zu bezahlten Anzeigen von Unternehmen fließt alles in die Reihung der Ergebnisse mit ein.
Marketingfaktor
Dass die Arbeit mit Algorithmen oder ihre Berücksichtigung bei Aktivitäten auf verschiedenen Social Media-Plattformen für digitales Marketing von großer Bedeutung sind, ist daher nicht überraschend. Die Schuhe, die wir uns gerade noch kurz in einem Onlineshop angesehen haben, erscheinen dann plötzlich auch auf Facebook oder anderen Webseiten als Werbeeinschaltung. „In der Flut an Informationen und Daten wahrgenommen zu werden, das ist die bedeutendste ‚Währung’ im Onlinebereich. Für diese Sichtbarkeit kann natürlich bezahlt werden,“ so Roland Schroll. Die Art und Weise, wie das geschieht, hat sich in den letzten Jahren allerdings gewandelt: „Studien haben gezeigt, dass mittlerweile zwei Drittel des Kaufentscheidungsprozesses von Konsumentinnen und Konsumenten von Mundpropaganda, also von eher informellen, aber individuellen Produktbewertungen abhängen: Blogeinträge, Produkttests bzw. -bewertungen oder Kommentare in Onlineshops haben häufig mehr Gewicht, als die Werbemaßnahmen des Unternehmen selbst“. Daher wird immer stärker auf das so genannte Influencer-Marketing gesetzt: „Unternehmen stellen zum Beispiel Bloggern, Youtubern oder Personen, mit einer starken Präsenz in den sozialen Medien – also mit vielen Followern – Produkte zum Testen zur Verfügung. Damit haben sie ebenso Erfolg wie mit einer klassischen Werbeanzeige oder einem Fernsehspot“, erklärt Schroll. Künftig will sich der Wirtschaftswissenschaftler noch stärker mit den Auswirkungen von Algorithmen auf unsere Wahrnehmung fokussieren. In einem aktuellen Projekt untersucht Schroll die Reaktionen von Testpersonen auf Texte, die von Algorithmen – also einer „Maschine“- erstellt wurden im Vergleich zu von Menschen geschriebenen Texten.
Zur Person:
Roland Schroll (geboren 1982 in Innsbruck) unterrichtet Online Marketing an der Universität Innsbruck. Er studierte sowohl Wirtschaftsinformatik als auch Strategisches Management, bevor er 2009 das Marketing Team der Universität Innsbruck verstärkte. Als PostDoc am Institut für Strategisches Management, Marketing, und Tourismus untersucht er verschiedene marketingrelevante Phänomene – unter anderem die Auswirkungen des zunehmenden Einsatzes von Algorithmen auf das Konsumentenverhalten.
*Source: Universität Innsbruck