Schattenseiten des Wintervergnügens

Schneekanonen sind schon längst selbstverständlicher Bestandteil des winterlichen Landschaftsbilds – nicht nur in Tirol. Der Ökologe Christian Newesely untersucht die Auswirkungen des massiven Einsatzes von Kunstschnee auf die alpine Umwelt.

Die österreichischen Skigebiete verfügen zusammen über viele tausende Kilometer an Skipisten, allein in Tirol sind es 3000. Um in der wirtschaftlich sehr wichtigen Wintersaison die Schneesicherheit gewährleisten zu können, muss für einen großen Teil dieser Flächen auf künstliche Beschneiung zurückgegriffen werden. Die Beschneiungsanlagen sind somit ab Anfang November – sofern es die Temperaturen zulassen – im Einsatz und werden zu Hoffnungsträgern für weiße Hänge. Dabei sei die Bezeichnung „Schnee“ für das, was aus den Schneekanonen gesprüht wird, eigentlich nicht die korrekte Bezeichnung, sagt Dr. Christian Newesely vom Institut für Ökologie: „Wenn man es genau nimmt, kann eine Schneekanone keinen Schnee produzieren. In den Beschneiungsanlagen kommt es zu einer feinen Zerstäubung von Wasser, das bei entsprechenden Temperaturen mit Luft in Verbindung gebracht wird. Dabei entstehen kleine gefrorene Tröpfchen, die in ihrer Form an Zwetschken erinnern, aber keine für den natürlichen Schnee so typischen Schneekristalle.“ Die künstlichen, glatten Eisformen aus den Kanonen lassen sich in der Pistenpräparierung sehr gut verbinden und pressen. Die dadurch entstehenden harten Kunstschneeflächen sind Skifahrerinnen und Skifahrern bestens bekannt. Was darin allerdings fehlt, ist Luft. Die sechskantigen Schneekristalle lassen ausreichend Raum für Luft, den die darunter liegenden Böden dringend benötigen. „Die natürliche Schneedecke erinnert aufgrund ihres Aussehens nicht nur an ein Federbett, für den Boden ist sie sprichwörtlich auch eines“, verdeutlicht Newesely.

Vereiste (Kunst-)Schneedecken, Pistenraupen, präparierte Hänge: Die intensive Beanspruchung bleibt für ihre Böden mit deren komplexen Ökosystem nicht ohne Konsequenzen.Image credit: Universität Innsbruck

Vereiste (Kunst-)Schneedecken, Pistenraupen, präparierte Hänge: Die intensive Beanspruchung bleibt für ihre Böden mit deren komplexen Ökosystem nicht ohne Konsequenzen.Image credit: Universität Innsbruck

Wärmedämmung

Durch die wiederholte Präparierung der Pisten, wird die Schneedecke stark verdichtet. Die abgerundete Form des Kunstschnees begünstigt die Verdichtung noch zusätzlich und die Wärmeisolationsfähigkeit der Schneedecke nimmt ab. „Damit büßt der Schnee seine Frostschutzfunktion für den darunter liegenden Boden mit seinen Pflanzen stark ein“, erklärt Newesely. Der Ökologe vergleicht die wärmeisolierende Wirkung des Naturschnees mit der Dämmung an Häusern: Auch dort sind Dämmmaterialen mit sehr viel Luft im Einsatz, um eine optimale Isolation zu sichern. Selbst im Hochgebirge werden daher unter einer isolierenden Schneedecke an der Bodenoberfläche maximal Temperaturen um den Gefrierpunkt oder nur unwesentlich darunter erreicht. „Wird die Luft nun im Laufe des Winters immer weiter herausgepresst, wird es im Boden sehr kalt. Schmelzwasser, das sich an warmen Tagen an der Schneeoberfläche bildet, sickert bis zur Bodenoberfläche durch und friert dort zu massiven Eisschichten“, so Newesely. „Diese Eisschichten verhindern den Luftaustausch zwischen Boden und Atmosphäre und der von Pflanzen und Bodentieren veratmete Sauerstoff kann nicht mehr nachgeliefert werden. Das hat tödliche Folgen für die Bodenbewohner: Viele Pflanzen ersticken.“ Die Konsequenzen dieses Absterbens sind spätestens nach Ende der Wintersaison auch mit freiem Auge sichtbar: An den Hängen kann es zur Bodenerosion kommen, die Vegetation erholt sich nur sehr langsam. „Sterben die Wurzeln, kommen dem Boden die Schrauben und Nägel abhanden, die ihn zusammenhalten.“

Stabilität

Der Lebensraum im Hochgebirge ist durch kurze, oftmals auch unterbrochene Sommer geprägt. Bereits geringe Unterschiede in der Himmelsrichtung und Hangneigung nehmen einen großen Einfluss auf die dortigen Lebensbedingungen. Die Bedeutung der Pflanzenwurzeln für stabile Böden bringt daher speziell im hochalpinen Bereich große Herausforderungen mit sich. Oberhalb der Baumgrenze schaffen es nur angepasste Pflanzen, sich an die extremen klimatischen Bedingungen anzupassen und zu etablieren. Eine von ihnen ist die Krummsegge (Carex curvula): Diese Segge aus der Familie der Sauergräser ist eine der wichtigsten „Haltgeber“ im alpinen Gelände. „Wird das Habitat dieser Pflanze beispielsweise aufgrund neuer Pistenerschließungen auf über 2500 Metern zerstört, kann von einer unwiederbringlichen Zerstörung der Fläche gesprochen werden“, erzählt Newesely. Ein Quadratmeter dieser „Grasart“ benötigt etwa 400 Jahre, bis er sich nach Zerstörung wieder vollständig regeneriert hat. In den letzten Jahren wurden daher immer mehr Bemühungen in Richtung ökologischer Flächenumwandlungen entwickelt, da kein Saatgut diese über viele Jahrtausende entwickelten Bereiche ersetzen kann. Die extrem langsam gedeihenden hochalpinen Rasenflächen werden Stück für Stück abgetragen, zwischengelagert und nach der entsprechenden Bearbeitung des Unterbodens wieder aufgebracht. Für diese Vorgehensweise gibt es aber keine Erfolgsgarantie.

Ressourcen

Christian Newesely beschäftigt sich bereits seit mehreren Jahrzehnten mit den Auswirkungen künstlicher Beschneiung auf alpine Ökosysteme, die er bereits in seiner Doktorarbeit zum Thema gemacht hat. Dabei richtet der Wissenschaftler seinen Blick nicht nur direkt auf die Pisten, sondern sieht seine Arbeit auch im Kontext regionaler gesellschaftspolitischer Entwicklungen. „Als Ökologe ist es mir ein großes Anliegen, auch auf jene Aspekte aufmerksam zu machen, die die Produktion des Kunstschnees in größeren Kontexten mit sich bringt“, sagt Newesely. Stromverbrauch und Wasserverbrauch sind dabei jene beiden großen Stichworte, die der Forscher auch seinen Studierenden in der Lehre immer wieder mitzugeben versucht. Die Dimensionen des Kunstschnee-Einsatzes will Newesely anhand konkreter Vergleiche greifbar machen: „In Tirol wird nur für Beschneiungszwecke in den Wintermonaten gleich viel Wasser verbraucht, wie die Städte Innsbruck, Telfs, Kufstein und Schwaz zusammen in einem Jahr an Trinkwasser verbrauchen. Dieses Wasser wird unseren Gewässern entzogen und zu einem großen Teil in den für diese Zwecke gebauten mehr als 200 Tiroler Speicherseen gespeichert. Die Speicherseen sind vor allem notwendig, um die große Menge an Wasser für die Beschneiung in kurzer Zeit zur Verfügung zu haben.“
Der Wissenschaftler will den Kunstschnee allerdings nicht grundsätzlich verteufeln: Zu groß ist seine Bedeutsamkeit für eine gute Entwicklung des Tourismus und den damit verbundenen Arbeitsplätzen. „Schnelle Änderungen sind weder machbar noch verantwortbar. Die ökologische Bewusstseinsbildung muss aber dennoch an erster Stelle stehen“, ist Newesely überzeugt.

*Source: Universität Innsbruck

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