Grünspecht, Stieglitz & Co. erobern unsere Gärten

NABU-Vogelexperte Lars Lachmann im Interview zur kommenden „Stunde der Gartenvögel“

Die „Stunde der Gartenvögel“ feiert dieses Jahr Jubiläum. Bereits zum zehnten Mal werden Vögel in Gärten und Parks gezählt. Was wissen wir durch die letzten Male?

Die Zählungen der letzten Jahre geben uns ein anschauliches Bild darüber, welche Vögel in Deutschlands Gärten vorkommen und welche wo besonders häufig oder selten sind. Als wir mit der Aktion 2005 begonnen haben, wollten wir zunächst Genaues über die relative Häufigkeit und Verteilung der Vogelarten in Gärten und Parks erfahren, denn dazu gab es kaum flächendeckende Informationen und Daten. Dadurch wissen wir, dass die drei häufigsten Gartenvögel Deutschlands der Haussperling, die Amsel und die Kohlmeise sind. An dieser Rangfolge hat sich auch bis heute nichts geändert.

Durch die jährlichen Wiederholungen der Aktion kommt ein ganz wichtiger Aspekt hinzu: Wir können nun etwas über Veränderungen der Vogelbestände im Siedlungsraum sagen, also welche Arten dort zu- oder abnehmen. Hier gibt es einen deutlich erkennbaren Trend: Die Vogelbestände in den Siedlungsräumen nehmen leicht zu. Dies gilt sowohl für die durchschnittliche Anzahl an Vögeln pro Garten als auch für die Zahl der beobachteten Arten. Nach unseren Daten leben also nicht nur mehr Vögel in Städten und Dörfern, sondern auch mehr verschiedene als früher!

Mauersegler. Image credit: NABU.de

Mauersegler. Image credit: NABU.de

Das ist eine interessante Erkenntnis, sonst heißt es oft, dass Vogelbestände vielerorts abnehmen und nicht wenige Vogelarten bedroht sind.
Das ist auch richtig. Deutschlandweit betrachtet überwiegen die Abnahmen klar, wie andere Untersuchungen zeigen. In der freien Landschaft, im Wald und vor allem im landwirtschaftlichen Raum nehmen viele Vogelarten ab. Manche dieser Arten nehmen aber gleichzeitig im Siedlungsraum zu. Dies ist für uns eine sehr wichtige Beobachtung. Sie zeigt, welchen zunehmenden Stellenwert Gärten und Parks in Städten und Dörfern heute für die Natur haben. Im Gegensatz zu Wald und Acker sind die städtischen Grünräume nicht dem Primat der maximalen Produktion unterworfen und können viel Raum für Natur bieten. Die „Stunde der Gartenvögel“ zeigt diese Entwicklung sehr deutlich. Gleichzeitig regt sie dazu an, Gärten und Parks als kleine Naturschutzgebiete zu betrachten, die für unsere Vögel immer wichtiger werden.

Wie verhält es sich denn in diesem Jahr mit dem Einfluss der Jahreszeiten: Der Winter war mild und der Frühling stand schon sehr früh in den Startlöchern, viel früher als in den letzten Jahren. Wirkt sich das auf die Vogelwelt aus?
Der zeitige Frühlingsstart hat in der Tat Einfluss auf das Verhalten der Vögel. Viele von ihnen stecken in diesen Tagen schon mitten im Brutgeschäft, ungefähr zwei bis drei Wochen früher als letztes Jahr. Da sie sich um ihren Nachwuchs kümmern müssen, zum Beispiel viel mit dem Füttern beschäftigt sind, singen manche Arten zurzeit schon weniger als letztes Jahr Anfang Mai.

Und der milde Winter?
Milde Temperaturen im Winter begünstigen die Vogelarten, die über die kalte Jahreszeit Deutschland nicht verlassen. Besonders die Bestände einiger Arten, die trotz ihrer Vorliebe für Insektennahrung bei uns überwintern, wie zum Beispiel Zaunkönige und Schwanzmeisen, werden über die Wintersterblichkeit reguliert. Bleibt die Kälte jedoch aus, überleben deutlich mehr Vögel dieser Arten. Spannend wird, ob wir diesen Umstand auch in den Beobachtungszahlen entdecken werden: Wird es in diesem Jahr mehr Zaunkönige und Schwanzmeisen geben?

Auf welche Arten wird in diesem Jahr besonderes Augenmerk gelegt?
Zum einen wollen wir gern wissen, wie es dem Grünfinken geht. Seit einigen Jahren ist er vom sogenannten Grünfinkensterben betroffen, einer Infektion mit dem einzelligen Erreger „Trichomonas gallinae“, mit dem sich die Grünfinken vor allem im Sommer bei anhaltend warmen Temperaturen an Futter- und Badestellen anstecken. Im Rahmen der Schwesteraktion „Stunde der Wintervögel“, bei der wir Anfang Januar zur Erfassung der Gartenvögel aufrufen, haben wir in diesem Jahr bereits einen Rückgang um über 30 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren festgestellt. Wir befürchten, dass sich dies auch negativ auf die Brutbestände auswirkt. Damit würde sich bei uns eine Entwicklung wiederholen, die in den letzten Jahren bereits in Großbritannien eingetreten ist.

Zum anderen interessieren wir uns in diesem Jahr auch besonders für die Amseln. Seit einigen Jahren erkranken sie vermehrt am durch Stechmücken übertragenen Usutu-Virus, allerdings nur im Südwesten der Republik, vor allem am Oberrhein. Mit den letzten Durchgängen der „Stunde der Gartenvögel“ konnte die dramatische Abnahme der Amseln dort bereits dokumentiert werden. Wir hoffen darauf, in diesem Jahr eine Erholung des Bestands beobachten zu können.

Wie sieht es denn in diesem Jahr mit den „Sorgenkindern“ der vergangenen Jahre aus, Mehlschwalbe und Mauersegler?
Auf diese beiden Arten blicken wir auch in diesem Jahr gespannt. Seit Beginn unserer Zählung haben die gemeldeten Zahlen dieser Arten über 20 beziehungsweise über 30 Prozent abgenommen! Der starke Rückgang hängt mit ihrer Lebensweise zusammen, diese Arten gehören zu den beiden derzeit am meisten gefährdeten Artengruppen des Siedlungsraums: Sie sind Gebäudebrüter und langstreckenziehende Zugvögel, also solche, die über die Sahara hinweg nach Afrika fliegen. Am Gebäude brütende Vögel finden in modernen oder renovierten Bauten immer weniger Brutmöglichkeiten oder werden gar – illegalerweise – aktiv durch Menschen vertrieben. Zum Beispiel schlagen Hausbewohner Mehlschwalbennester unter dem Dachtrauf einfach ab, weil sie sich durch den entstehenden Schmutz gestört fühlen, statt ganz einfach mit der Anbringung eines sogenannten Kotbretts Abhilfe zu schaffen.

Als Langstreckenzieher sind Mehlschwalben und Mauersegler zusätzlich durch Lebensraumzerstörung in Afrika und den zunehmenden Klimawandel gefährdet. In unseren Breiten wird es immer früher warm und eigentlich müssten sie deshalb auch früher zurückkehren, um ihre Brutsaison erfolgreich zu bestreiten. In Afrika führt der Klimawandel aber zum Beispiel zu einer Ausdehnung der Sahara und vermehrten Dürren an wichtigen Rastplätzen, die es den Vögeln erschweren, rechtzeitig und in guter Verfassung bei uns anzukommen. Wir fürchten, dass sich dieser negative Trend der letzten Jahre im Jubiläumsjahr weiter fortsetzt.

Der „Vogel des Jahres“ 2014, der Grünspecht, bevorzugt zum Leben vor allem halboffene Waldlandschaften mit Lichtungen und aufgelockerten Waldrändern – haben unsere Vogelbeobachter trotzdem eine Chance, den lachenden Specht in ihrem Garten oder in Parks zu erblicken?
Ja! Der Grünspecht sucht sich sein Zuhause in den letzten Jahren immer häufiger auch in Siedlungsräumen. Die durchschnittlich pro Garten gemeldete Anzahl der Grünspechte hat sich seit Beginn der Aktion verdoppelt. Inzwischen wird im Schnitt ein Grünspecht aus jedem zwölften Garten gemeldet. Er gehört zu der wachsenden Zahl von Vogelarten, die zunehmend unsere Städte und Dörfer als Lebensraum für sich entdecken, wie zum Beispiel auch der Feldsperling, der Stieglitz und der Buntspecht.

Nun zum Wetter. Das Wochenende soll wechselhaft und überwiegend kühl mit Regenschauern werden. Was bedeutet das für die Aktion?
Ein paar Regenschauer machen unseren gefiederten Freunden und ihren Beobachtern wenig aus. Wenn man dazwischen eine regenfreie Stunde findet, beeinflusst das die Beobachtungszahlen wenig. Anhaltender Starkregen und dazu noch stürmischer Wind würden uns die „Stunde der Gartenvögel“ aber schwer machen. Dann verstecken sich die Vögel, suchen Schutz und haben auch keine Lust zu singen. Ebenso verhalten sich dann meist auch die potentiellen Zähler. Das müssten wir dann natürlich bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigen.

Welche Tageszeit wäre denn zum Zählen am besten geeignet?
Grundsätzlich ist es für die Vergleichbarkeit der Ergebnisse am besten, wenn jeder Zähler jedes Jahr ungefähr zur gleichen Tageszeit zählt wie im Vorjahr. Allerdings dürfte sich die Verteilung der Zählstunden über den Tagesverlauf bei den jährlich über 30.000 Meldungen von Jahr zu Jahr kaum ändern. Am spannendsten ist sicherlich eine regen- und sturmfreie Stunde am Morgen. Während der ersten beiden Stunden nach Sonnenaufgang sind die meisten Arten besonders aktiv. Wer nicht zu den Frühaufstehern gehört und diese Zeit verpasst, hat dann wieder gegen Abend eine Chance auf erhöhte Vogelaktivität, denn zur Mittagszeit ist in der Vogelwelt weniger los.

Noch eine Botschaft zum Schluss?
Gern! Die „Stunde der Gartenvögel“ hat über die letzten Jahre hilfreiche Daten geliefert und gezeigt, dass Siedlungsräume für unsere heimischen Vögel immer wichtiger werden. Je mehr Meldungen wir erhalten, desto genauer sind unsere Daten. Aber natürlich geht es bei unserer Aktion nicht nur um die wissenschaftliche Datensammlung. Es ist uns auch sehr wichtig, dass die Teilnehmer durch die Aktion die Natur in ihrer Umgebung bewusst wahrnehmen. Nur was man kennt, das schützt man auch! Wir hoffen also, mit dieser Aktion viele Menschen für die Natur im eigenen Garten zu begeistern und zu einer vogelfreundlichen Gartengestaltung zu ermuntern. Dabei ist das Mitmachen kinderleicht und bringt Freude für die ganze Familie. Deshalb: Nehmen Sie auch in diesem Jahr an der Aktion teil!

*Source: NABU.de

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