Elektronenblitze erhellen Moleküldynamik

Göttinger Forscher beobachten die ultraschnelle Dynamik an Oberflächen auf der atomaren Skala

In der mikroskopischen Welt von Atomen und Molekülen läuft vieles im Bereich von Femtosekunden und Pikosekunden ab, also Billiardsteln und Billionsteln einer Sekunde. Um einen direkten Blick auf die Dynamik im Mikrokosmos werfen zu können, nutzen Forscher extrem kurze Röntgen- oder Elektronenblitze. So können schnelle Bewegungen von Atomen und Molekülen in einem Moment festgehalten werden und es werden feinste Unterschiede in der Anordnung und Orientierung atomarer Strukturen sichtbar. Physiker und Chemiker der Universität Göttingen haben unter Beteiligung von Forschern des Göttinger Max-Planck-Instituts (MPI) für biophysikalische Chemie ein neues Verfahren entwickelt, die Dynamik einzelner atomarer und molekularer Lagen zu untersuchen. Die Ergebnisse sind in der renommierten Fachzeitschrift Science erschienen.

Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Claus Ropers und Dr. Sascha Schäfer von der Fakultät für Physik hat die neue Technik entwickelt, die auf der Beugung ultrakurzer Elektronenblitze an Oberflächen und dünnen Filmen basiert. „Das Besondere an unseren Experimenten ist, dass wir ultrakurze Elektronenpulse bei vergleichsweise niedriger Energie erzeugen konnten. Damit können wir Schichten analysieren, die nicht dicker als ein einziges Molekül sind“, erklärt Max Gulde, Doktorand und Erstautor der Veröffentlichung. „Außerdem haben Elektronen mit niedriger Energie den Vorteil, dass man mit ihnen auch weiche organische Materialien untersuchen kann, ohne sie allzu schnell zu zerstören.“

Die ultrakurzen Elektronenpulse für die Untersuchung molekularer Filme werden mit Laserlicht am Ende einer nanoskopisch kleinen Metallspitze erzeugt. Das Bild zeigt eine elektronenmikroskopische Aufnahme. Image credit: © Universität Göttingen

Die ultrakurzen Elektronenpulse für die Untersuchung molekularer Filme werden mit Laserlicht am Ende einer nanoskopisch kleinen Metallspitze erzeugt. Das Bild zeigt eine elektronenmikroskopische Aufnahme. Image credit: © Universität Göttingen

Die erste mit der neuen Technik analysierte Probe besteht aus einer Polymer-Graphen-Doppelschicht, die in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Alec Wodtke und Dr. Hak-Ki Yu vom MPI für biophysikalische Chemie hergestellt wurde. Graphen ist ein Material mit außergewöhnlichen mechanischen und elektronischen Eigenschaften, für dessen Herstellung und Untersuchung der Nobelpreis für Physik im Jahr 2010 vergeben wurde. Es besteht aus einer einzelnen Lage von Kohlenstoffatomen, angeordnet in einer Honigwabenstruktur. Die nachträglich auf das Graphen aufgebrachte Polymerschicht hat sich in einer Art Streifenmuster auf das Graphen gelegt. Die Forscher haben die strukturelle Reaktion des Polymers beobachtet, nachdem die Doppelschicht mit einem kurzen Energiepuls angeregt wurde. Insbesondere konnte hierbei quantitativ abgebildet werden, wie schnell durch den Energieübertrag vom Graphen auf das Polymer die Ordnung des molekularen Films verlorengeht und nach Abkühlen wieder entsteht.

Graphische Darstellung der Polymerstränge auf einer wabenförmigen Graphenstruktur. Die Anregung durch einen intensiven Laserpuls verursacht einen Übergang von einem streifenförmigen Muster in einen ungeordneten Zustand. Image credit: © Universität Göttingen

Graphische Darstellung der Polymerstränge auf einer wabenförmigen Graphenstruktur. Die Anregung durch einen intensiven Laserpuls verursacht einen Übergang von einem streifenförmigen Muster in einen ungeordneten Zustand. Image credit: © Universität Göttingen

„Hybridstrukturen auf der Basis von Graphen sind besonders interessant für zukünftige Anwendungen zum Beispiel in der Nanoelektronik, da mit ihnen eine ganz neue Variabilität der Materialeigenschaften erreicht werden kann. Die Beobachtung der Ultrakurzzeitdynamik in solchen Systemen gibt uns die Möglichkeit, Kopplungen und Energietransferprozesse auf atomarer Skala zu untersuchen“, erläutert Prof. Ropers. Das Verfahren ist auf viele andere Probleme in der Oberflächenphysik anwendbar. „Die Ergebnisse sind das Resultat der produktiven Kooperation sowohl zwischen der Universität und dem MPI als auch zwischen der Fakultät für Physik und der Fakultät für Chemie“, sagt Prof. Wodtke, der mit einer Alexander von Humboldt-Professur an der Fakultät für Chemie unter anderem neue Herstellungstechniken hochqualitativen Graphens erforscht. „Um gemeinsam genau solchen Fragestellungen nachzugehen, haben wir in einer etwa 30-köpfigen Gruppe von Wissenschaftlern vor kurzem einen neuen Sonderforschungsbereich auf den Weg gebracht.“

*Source: Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

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