Invasive superkoloniale Ameise: Schädling oder halb so schlimm?

Der Wissenschaftler Dr. Bernhard Seifert vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz hat die Ausbreitung einer invasiven Waldameisenart in Kanada untersucht. Etwa eine Millionen der Insekten wurden 1971 durch den Menschen in einen kanadischen Wald nahe Quebec eingeführt – die Ameisen haben seitdem ihre Anzahl mindestens verzwanzigfacht. In seiner kürzlich im Fachjournal „Myrmecological News“ veröffentlichten Studie zeigt Seifert, dass die Ameisen nur an einen Ort in Quebec vorkommen und bisher keine Gefahr für das kanadische Ökosystem darstellen.

Ameisen machen weniger als 0,5 Prozent aller weltweit bekannten Tier- und Pflanzenarten aus, dennoch befinden sich gleich fünf superkoloniale Ameisenarten auf der von der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) erstellten Liste der 100 schlimmsten invasiven Tier- und Pflanzenarten.

Wurden absichtlich nach Kanada eingeführt: Die superkoloniale Waldameisenart Formica paralugubris. Image credit: © Kiko Gómez & Xavier Espadaler

Wurden absichtlich nach Kanada eingeführt: Die superkoloniale Waldameisenart Formica paralugubris. Image credit: © Kiko Gómez & Xavier Espadaler

„Superkolonien bei Ameisen entstehen durch die Aufspaltung von Nestern mit vielen Königinnen in zahlreiche Tochterkolonien“, erklärt Dr. Bernhard Seifert vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz und fährt fort: „Problematisch sind die durch Menschen verursachten Verschleppungen von Arten, die solche Superkolonien bilden können. Die Ameisen können sich sehr schnell zu ökologischen Plagen im neuen Lebensraum entwickeln.“

Der Görlitzer Ameisenforscher hat die 1971 nach Kanada eingeführte superkoloniale Waldameisenart Formica paralugubris und ihre bisherige Ausbreitung untersucht. Die größte bekannte Superkolonie der rot-schwarze Ameisenart in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet umfasst 1200 Nester auf 70 Hektar Fläche in den Schweizer Alpen.

Seit 1971 hat sich die Anzahl der Ameisen mindestens verzwanzigfacht. Image credit: © Kiko Gómez & Xavier Espadaler

Seit 1971 hat sich die Anzahl der Ameisen mindestens verzwanzigfacht. Image credit: © Kiko Gómez & Xavier Espadaler

„Kurioserweise wurden die Ameisen 1971 bewusst vom Menschen nach Kanada eingeschleppt“, erzählt Seifert. Die kleinen Insekten sollten für den Schutz kanadischer Wälder sorgen und Schadinsekten bekämpfen. „Solch ein Verfahren würde in der heutigen Zeit zu massiven Protesten führen“, meint Seifert.

Etwa 1,3 Millionen Arbeiterameisen mit geschätzten 3000 Königinnen wurden gezielt in einer kanadischen Nadelbaumplantage angesiedelt. Bis 1973 hatten die Ameisen fünf Nester gebaut, die circa 3 Millionen Ameisen beherbergten. Die nächste Aufzeichnung stammt aus dem Jahr 2005: Formica paralugubrislebte nun schon in 95 Nestern, die sich auf einer Waldfläche von 3,8 Hektar ausstreckten. „Laut unseren statistischen Berechnungen können wir zu diesem Zeitpunkt von etwa 19 Millionen Arbeiterameisen in dieser zusammenhängenden Superkolonie ausgehen. Heute sind es wahrscheinlich noch deutlich mehr, die Entwicklung wurde aber in den letzten 10 Jahren nicht mehr beobachtet“, erläutert Seifert.

Superkoloniale Waldameise mit einer erbeuteten Blattwespe. Image credit: © Senckenberg

Superkoloniale Waldameise mit einer erbeuteten Blattwespe. Image credit: © Senckenberg

Die Studie zeigt außerdem, dass im Verbreitungsgebiet der Waldameise heimische Arten lokal verdrängt werden und die eingeführten Ameisen deren Funktionen im Ökosystem mehr oder weniger übernehmen. Doch anders als beispielsweise bei der gelben Spinnerameise (Anoplolepis gracilipes), die seit ihrer Einfuhr 1978 in Australien durch eine immense Ausbreitung erhebliche Schäden in den heimischen Ökosystemen anrichtet, ist die Ausbreitungsgefahr der untersuchten Waldameise in Kanada über eine größere Fläche eher gering. Die Art macht keine weiten Paarungsflüge, die Paarung der Ameisen findet fast immer im oder auf dem Nest statt und die Jungköniginnen werden anschließend vom Mutternest adoptiert – so bleiben die Tiere an Ort und Stelle. Auch Neuansiedlungen durch zufälligen, unbeabsichtigten Transport durch den Menschen hält Seifert für extrem unwahrscheinlich: Für eine Anfangskolonie müssten große Teile einer Kolonie umgesiedelt werden, dies wäre nur durch ein gezieltes Vorgehen möglich.

„Demnach besteht momentan keine akute Gefahr für eine Schädigung nordamerikanischer Wälder durch Formica paralugubris. Dennoch würde ich eine weitere Beobachtung der Superkolonie durch meine kanadischen Kollegen dringend empfehlen“, fasst Seifert zusammen.

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Publikation

Bernhard SEIFERT (2016): The supercolonial European wood ant Formica paralugubris SEIFERT, 1996 (Hymenoptera: Formicidae) introduced to Canada and its predicted role in Nearctic forests. Myrmecological News, 22: 11-20

*Source: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

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