100 Millionen Jahre altes Fossil löst Rätsel um Ausbreitung der Stummelfüßer

Kasseler Biologen haben ein jahrzehntealtes Rätsel um die Ausbreitung der Tiergruppe der Stummelfüßer in der Kreidezeit gelöst. Die entscheidenden Hinweise gab ein seltenes, in Bernstein eingeschlossenes Fossil.

Stummelfüßer (Onychophora) sind heute vor allem in Gebieten verbreitet, die einst Teile des Superkontinents Gondwana waren. Allerdings findet man einige Vertreter dieser Tiergruppe auch in Südostasien – einem Gebiet, welches selbst nie mit Gondwana verbunden war. Bislang gab es für dieses Auftreten zwei Hypothesen: Entweder haben die Stummelfüßer Südostasien von Afrika aus über Europa besiedelt, als die entsprechenden Landmassen zusammen den Superkontinent Pangea bildeten (Eurogondwana-Hypothese), oder die Stummelfüßer sind durch die Kontinentaldrift nach Südostasien transportiert worden, so dass sie sich nach der Kollision von Indien mit Asien in Südostasien ausgebreitet haben („Out-of-India“-Hypothese).

Ein internationales Forschungsteam um den Kasseler Biologen Prof. Dr. Georg Mayer, Leiter des Fachgebiets Zoologie, konnte nun die „Out-of-India-Hypothese“ endgültig ausschließen. Den Beweis lieferte ein rund 100 Millionen Jahre altes Stummelfüßer-Fossil, das in Bernstein eingeschlossen ist und das die Gruppe mit der sogenannten Synchrotron Radiation-based micro-computed Tomography (SRµCT) untersuchten, die auf der Strahlung des 6,3 Kilometer langen Teilchenbeschleunigers am DESY in Hamburg basiert. Diese neue Technik ermöglichte den Forschern eine sehr detaillierte Untersuchung des Bernsteinfossils, ohne dieses zu beschädigen.

Stummelfüßer in Bernstein. Foto credit: Ivo de Sena Oliveira

Stummelfüßer in Bernstein. Foto credit: Ivo de Sena Oliveira

Das neue, erstaunlich gut erhaltene Fossilmaterial stammt aus dem südostasiatischen Staat Myanmar – auch bekannt als Burma. Myanmar grenzt heute unter anderem an Thailand, China und Indien. Vor über 100 Millionen Jahren, zu der Zeit, als die Stummelfüßer in der Region des heutigen Myanmar lebten, war Indien jedoch noch nicht Teil des asiatischen Kontinents – das „Transportmittel“ des heutigen Subkontinents konnten sie also nicht genutzt haben. Sowohl das Alter des Fossils als auch dessen beeindruckende morphologische Ähnlichkeiten mit den heute in Indien lebenden Stummelfüßern ließen die Forscherinnen und Forscher um Mayer darauf schließen, dass die Stummelfüßer bereits vor der Kollision Indiens mit Asien auf dem Landweg über Europa nach Südostasien eingewandert sein müssen. Erst nach der Kollision hatten sie dann die Möglichkeit, sich nach Indien auszubreiten.

Die sogenannte ‚Out-of-India’-Hypothese können wir jetzt ausschließen“, fasst Mayer zusammen. „Anders als Indien war Myanmar nicht vom Rest der südostasiatischen Platte isoliert, wurde also von der Kontinentaldrift nicht betroffen – der Stummelfüßer aus Myanmar ist jedoch mit der indischen Art am nächsten verwandt. Und er existierte deutlich vor der Kollision zwischen Indien und Asien.“

Auch über die evolutionäre Entwicklung des Stummelfüßers können die Forscher nun detailliertere Angaben machen. Mayer: „Beispielsweise sind bei dem Fossil, das uns vorliegt, sehr klar Augen zu erkennen. Diese sind den indischen Stummelfüßern im Laufe der Evolution verlorengegangen. Auch interessant für uns: Das Fossil hatte eindeutig Krallen. Bei früheren Fossilfunden konnten diese nicht gefunden werden.“ Die Bedeutung dieser Studie liegt auch in der Seltenheit der in Bernstein erhaltenden Stummelfüßer: Weltweit gab es bisher nur drei Bernsteinfossilien, die an verschiedenen Orten gefunden wurden.

Die Stummelfüßer bilden eine eigenständige Gruppe innerhalb der Häutungstiere und sind vor allem auf der Südhalbkugel verbreitet. Sie ernähren sich von kleineren Beutetieren (z.B. Asseln und Insekten), die sie mit einem klebrigen Schleim fangen.

Die Universität Kassel ist eine junge, moderne Hochschule mit rund 330 Professorinnen und Professoren und etwa 24.000 Studierenden. Durch einen Schwerpunkt auf das Thema „Natur“ trägt die Uni in Fächern von Astrophysik bis Zoologie zur Forschung im Bereich der Natur-, Umwelt- und Agrarwissenschaften bei.

*Source: Universität Kassel

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