Diamanten der Steinzeit

Glanz und Glitzer scheinen bereits vor 10.000 Jahren eine große Anziehungskraft gehabt zu haben. Prof. Walter Leitner und sein Team vom Institut für Archäologien der Universität Innsbruck konnten eine prähistorische Abbaustelle für Bergkristall in den Tuxer Alpen nachweisen und ermöglichen Einblicke in das steinzeitliche Leben Tirols.

Die Forschungsarbeit an der mit 2800 Metern höchstgelegenen archäologischen Fundstelle Österreichs ist beschwerlich. Mehrere Stunden Fußmarsch sind nötig, um das so genannte Riepenkar am Südfuß des Berges Olperer zu erreichen. Die instabile Wetterlage in dieser hochalpinen Gegend macht archäologische Sondagen nur an wenigen Tagen des Jahres überhaupt erst möglich. Das aus der Quarzkluft abgetragene Gesteinsmaterial wird in bis zu 25 Kilo schweren Rucksäcken ins Tal getragen. „Die Mühe lohnt sich aber allemal“, freut sich Walter Leitner über seine Entdeckungen. Durch Hinweise des Zillertaler Mineraliensammlers Walter Ungerank wurde der Archäologe auf die Stelle aufmerksam und begann mit Untersuchungen vor Ort.

Das Riepenkar am Südfuß des Olperer birgt mit bis zu 15 Metern Länge eine der größten bekannten Quarzkluften der Tiroler Zentralalpen und ist seit Jahren Schauplatz archäologischer Untersuchungen. Bild credit: W. Leitner

Das Riepenkar am Südfuß des Olperer birgt mit bis zu 15 Metern Länge eine der größten bekannten Quarzkluften der Tiroler Zentralalpen und ist seit Jahren Schauplatz archäologischer Untersuchungen. Bild credit: W. Leitner

Glitzerndes Werkzeug

Einige der entdeckten Bergkristalle wiesen „verdächtige“ Bearbeitungsspuren in Form von Abschlägen mit retuschierten Flächen und Kanten auf, die charakteristisch für steinzeitliche Werkzeuge sind. Weitere Analysen von Walter Leitner mit seinem Kollegen Thomas Bachnetzer in den Laboren des Instituts für Archäologien der Uni Innsbruck brachten die Gewissheit: Bereits ab dem 8. Jahrtausend vor Christus benutzen die Menschen im Gebiet des heutigen Zillertales Bergkristalle zur Herstellung von Klingen, Pfeilspitzen, Kratzern, Bohrern und Sticheln. „Diese Gerätschaften sind uns für die steinzeitliche Gesellschaft bestens bekannt, allerdings wurden sie meistens aus Feuerstein hergestellt“, erklärt Leitner. Feuerstein lässt sich gut bearbeiten – eine Eigenschaft, die auf den Bergkristall weniger zutrifft. „Bergkristall ist nicht unbedingt ein optimales Mineral, um für diese Zwecke weiterverarbeitet zu werden“, verdeutlicht der Archäologe. „Es ist spröde und splittert willkürlich“. Der Grund für die Beliebtheit des Bergkristalls müsse daher ein anderer sein, vermutet Leitner: „Die Jäger und Sammler fühlten sich von der Optik der transparenten Quarze angezogen und empfanden sie wahrscheinlich als sehr hochwertig. Diese Wertschätzung ist bis heute ungebrochen, denn wer kommt nicht gerne in den Besitz eines glänzenden, durchsichtigen Minerals?“

Steingeräte aus Bergkristall vom Riepenkar. Zum Inventar gehören Klingen, Bohrer, Schaber, Spitzen und Kratzer. Foto credit: A. Blaickner

Steingeräte aus Bergkristall vom Riepenkar. Zum Inventar gehören Klingen, Bohrer, Schaber, Spitzen und Kratzer. Foto credit: A. Blaickner

Bergkristallstraße

Vorstellungen von Ästhetik und Schönheit könnten somit bereits vor mehreren tausend Jahren den heutigen ähnlich gewesen sein. Davon zeugen auch steinzeitliche Funde, die die Verwendung des Bergkristalls für Schmuck und Kultobjekte belegen. Der Bergkristall entwickelte sich zu einem Prestigeobjekt. „Wir gehen davon aus, dass Jäger durch den Besitz von Pfeilspitzen oder anderen Geräten aus Bergkristall in ihrem sozialen Status aufsteigen konnten“, nennt Leitner ein Beispiel. Nachdem sich der Bergkristall bald auch über die Zillertaler und Tuxer Region hinaus großer Beliebtheit erfreute, dürfte die Quarzkluft am Riepenkar zu einer Drehscheibe für Tauschhandel nach Norden und Süden geworden sein. Anhand weiterer Fundstellen in Form von steinzeitlichen Jägerlagern lässt sich eine „Bergkristallstraße“, die Route dieses Tauschhandels, nachzeichnen. „Unsere Funde von Geräten aus Bergkristall erstrecken sich entlang eines prähistorischen Höhenweges, der in Richtung Norden bis in das Rofangebirge am Achensee und in südlicher Richtung bis an den Gardasee reicht“, sagt Leitner. Da es sich hier um Regionen ohne natürliche Vorkommen des Bergkristalls handelt, muss Tauschhandel stattgefunden haben.

Mini-Bergwerk

Die benötigten Mengen an Bergkristall gingen nun über den Eigenbedarf hinaus und die „Nachfrage“ musste gedeckt werden. Die steinzeitlichen Jäger dürften das Mineral daher gezielt abgebaut haben, wie entsprechende Spuren an der Quarzkluft am Riepenkar zeigen. „Bergkristalle sind keine Zufallsfunde, sie müssen aus dem Gestein herausgeschlagen werden“, erklärt Leitner. Neben den bearbeiteten Bergkristallen wurden an der Fundstelle auch ortsfremde Gesteine lokalisiert, die beispielsweise in Form von Klopfsteinen für den Abbau benutzt wurden. Funde von Bergkristall in Form steinzeitlicher Werkzeuge kommen auch in anderen österreichischen Bergregionen immer wieder vor. „Aber der Nachweis einer Stelle, die bereits in der Steinzeit bewusst aufgesucht wurde, um Bergkristall zu gewinnen, konnte bisher nur am Riepenkar in den Tuxer Alpen erbracht werden“, ist Walter Leitner stolz.
Da aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen bisher nur ein kleiner Teil der Quarzkluft untersucht werden konnte, strebt der Archäologe für die Zukunft weitere Grabungsarbeiten an – nicht zuletzt da die Ergebnisse wertvolle Informationen für die Geschichte des Bergbaues in Tirol liefern, der im Mittelpunkt des Forschungszentrums HiMAT (History of Mining Activity in the Tyrol) der Universität Innsbruck steht.

Dieser Artikel ist in der Februar-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

*Source: Universität Innsbruck

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