Arthur Koestlers „Sonnenfinsternis“ (1940) erstmals im Originaltext erschienen – Spektakulärer Fund eines Kasseler Germanisten

Das bekannteste Buch des Schriftstellers Arthur Koestler erscheint fast 80 Jahre nach der Erstauflage erstmals im deutschen Originaltext. Ein verschollenes Manuskript des Romans „Sonnenfinsternis“, das 2015 von einem Doktoranden der Universität Kassel entdeckt worden war, dient als Grundlage der Neuausgabe. Bislang basierte die deutsche Ausgabe auf einer englischen Übersetzung des Manuskripts.

Der Kasseler Germanist Matthias Weßel hatte das Manuskript in der Zentralbibliothek Zürich bei Recherchen für seine Doktorarbeit entdeckt. Koestlers „Sonnenfinsternis“ von 1940 war bislang nur als Rückübersetzung aus dem Englischen bekannt, die erste deutsche Fassung erschien 1946. Bis 2015 galt der Originaltext als verloren. Herausgegeben wird das Werk des berühmten österreichisch-ungarischen Autors nun im Elsinor-Verlag aus Coesfeld.

Er hat das verschollene Koestler-Manuskript in Zürich entdeckt: Der Kasseler Germanist Matthias Weßel. Foto credit: Uni Kassel.

Er hat das verschollene Koestler-Manuskript in Zürich entdeckt: Der Kasseler Germanist Matthias Weßel. Foto credit: Uni Kassel.

Arthur Koestler (1905 – 1983) zählt besonders im englischsprachigen Raum zu den bedeutenden Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Der vielsprachige Kosmopolit schrieb seine Werke überwiegend auf Deutsch und Englisch. Seit 1930 arbeitete Koestler als Journalist in Berlin und trat kurz darauf in die kommunistische Partei ein. Nach einer Reise durch die Sowjetunion, der Arbeit als Kriegsberichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg und unter dem Eindruck der Stalinistischen Säuberungen wandte er sich vom Kommunismus ab. „Sonnenfinsternis“ ist Koestlers Abrechnung mit der Ideologie. Das Buch erzählt die Geschichte des fiktiven russischen Kommunisten Rubaschow, der beim Sowjet-Regime in Ungnade fällt und in die Fänge der Geheimpolizei gerät. Der Roman wurde zu einem internationalen Bestseller.

Bislang vermutete man, dass der Originaltext verloren ging, als der jüdischstämmige Schriftsteller und Journalist 1940 unter abenteuerlichen Umständen vor den Nazis nach England flüchtete. Als die Wehrmacht in Frankreich einmarschierte, hielt sich Koestler in Paris auf. Während er bereits unter Hochdruck seine Flucht plante, übersetzte seine damalige Freundin Daphne Hardy das Buch eilig ins Englische. Dies wirkte sich auf die Qualität des Textes aus. „Die englische Übersetzung war ein Hauruck-Projekt“, sagt Matthias Weßel. Der englische Text war die bisherige Grundlage der deutschen Ausgaben von „Sonnenfinsternis“.

Unter dem Titel „Roman: Rubaschow“ fand Weßel den Originaltext jedoch in den Archiv-Beständen des Europa-Verlags in Zürich. Wie er dort hinkam, ist noch nicht vollständig geklärt. Beim Vergleich zwischen Originaltext und Rückübersetzung hat Matthias Weßel hunderte von signifikanten Abweichungen entdeckt. „Bei der Übersetzung ins Englische und der Rückübersetzung ins Deutsche ist vieles verschliffen worden“, sagt Weßel. „Manche Redewendungen und Anspielungen werden erst in Koestlers Originalmanuskript deutlich“, so der Literaturwissenschaftler. Eine direkte Anspielung auf Hitler beispielsweise ist in der Rückübersetzung nicht mehr als solche erkennbar. Auch Folterszenen, in denen Blendlampen eingesetzt werden und die im Ursprungstext sehr drastisch dargestellt werden, wurden in der Übersetzung abgemildert. „Bestimmte Szenen wurden sogar vollständig gestrichen“, so der Germanist. Bei der Erstausgabe wollte der Verlag etwa dem englischsprachigen Publikum eine Masturbationsszene wohl nicht zumuten: Sie wurde kurzerhand weggelassen.

„Auch im 21. Jahrhundert gibt es gute Gründe, Koestler zu lesen“, meint Weßel. „Das gilt besonders für den Originaltext.“ Der Text sei ein wertvolles Zeitdokument. „Er zeigt ungeschönt die entmenschlichende Sprache damaliger totalitärer Systeme, beispielsweise anhand von Schädlingsmetaphorik.“ Koestler habe schon früh die Zusammenhänge zwischen Diktaturen unterschiedlicher Ideologie erkannt. „Er war ein Chronist des Niedergangs der Demokratie und ist deshalb ein gerade heute wieder sehr aktueller Schriftsteller.“

Unter dem Titel „Darkness at Noon“ erfreut sich das Werk in der angelsächsischen Welt großer Beliebtheit. „Die Neuausgabe soll dem deutschsprachigen Autor Koestler nun auch in Deutschland wieder Anerkennung verschaffen“, sagt Weßel.

Arthur Koestler: Sonnenfinsternis. Nach dem deutschen Originalmanuskript.
Vorwort von Michael Scammel, Nachwort von Matthias Weßel.
Elsinor-Verlag. Coesfeld 2018.

*Source: Universität Kassel

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