Warum wechseln Menschen ihre Sprache?

Interdisziplinäre Diffusion als Verbindung von Physik und Linguistik am Beispiel Südkärnten

Durch die zunehmende Globalisierung verändert sich auch die Sprachlandschaft unserer Welt: Viele Menschen geben ihre Sprache zugunsten einer anderen auf. Warum das passiert, haben Katharina Prochazka und Gero Vogl von der Universität Wien am Beispiel Südkärnten untersucht.

Mit Hilfe von Methoden, die aus der Diffusionsphysik stammen und dort die Bewegung von Atomen beschreiben, entwickelten sie erstmals ein Modell für die Ausbreitung von Sprachen in Zeit und Raum, im konkreten Fall des Slowenischen. Ihr Fazit: Hauptsächlich die Interaktion mit anderen Menschen ist dafür verantwortlich, ob es zu einem Sprachwechsel kommt. Die interdisziplinäre Studie dazu erscheint in der Fachzeitschrift PNAS.

In ihrer Untersuchung haben Katharina Prochazka und Gero Vogl die Sprachbewegung in Südkärnten nachvollzogen - hier zu sehen: der Beginn des zweiten Untersuchungszeitraumes ab 1971 (Image copyright: Katharina Prochazka, Universität Wien).

In ihrer Untersuchung haben Katharina Prochazka und Gero Vogl die Sprachbewegung in Südkärnten nachvollzogen – hier zu sehen: der Beginn des zweiten Untersuchungszeitraumes ab 1971 (Image copyright: Katharina Prochazka, Universität Wien).

Als Diffusion wird in der Physik die Ausbreitung von Teilchen in Zeit und Raum bezeichnet. Physikalische Diffusionsmodelle kann man aber auch auf andere Phänomene anwenden – auch solche, die mit Physik auf den ersten Blick nichts zu tun haben. “Unter dem Begriff interdisziplinäre Diffusion werden physikalische Methoden genutzt, um die Ausbreitung von Lebewesen, Krankheiten, Gerüchten– oder in unserem Fall eben Sprachen – zu beschreiben. Dadurch kann man große Datenmengen erfassen und verschiedene Szenarien durchspielen”, erklärt die Physikerin und Linguistin Katharina Prochazka, Erstautorin der Studie.

Im Vergleich dazu der erste Untersuchungszeitraum ab 1880 (Image copyright: Katharina Prochazka, Universität Wien).

Im Vergleich dazu der erste Untersuchungszeitraum ab 1880 (Image copyright: Katharina Prochazka, Universität Wien).

“Mikroskopische” Betrachtung der Sprachbewegung

Die interdisziplinäre Studie basiert auf dem Prinzip der “zellulären Automaten”, das hier erstmals mit detaillierten empirischen Daten zum Sprachgebrauch kombiniert wurde. Bei dieser Methode wird das Untersuchungsgebiet in kleine Kästchen unterteilt, die alle einzeln betrachtet werden wie unter einem Mikroskop. Dadurch können sehr kleinräumige Veränderungen in der Sprachbewegung nachvollzogen werden, gleichzeitig aber wird auch das gesamte Gebiet erfasst und beschrieben – ein Vorteil gegenüber anderen Herangehensweisen, die oft nur den Prozentsatz von SprecherInnen in der Bevölkerung betrachten und nichts über die räumliche Verteilung aussagen.

Interaktion als treibender Faktor

In ihrer Untersuchung haben Katharina Prochazka und Gero Vogl die Sprachbewegung in Südkärnten in den Zeiträumen 1880-1910 und 1971-2001 nachvollzogen, wo sich zwei Sprachen – Slowenisch und Deutsch – auf ein und demselben Raum wechselseitig beeinflussen. Dieses Gebiet stellt ein außerordentlich gut dokumentiertes sprachliches “Ökosystem” dar. “Unsere Computersimulationen zeigen, dass die Interaktion mit anderen Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, ein wesentlicher Antrieb für den Spracherhalt oder Sprachwechsel ist. Die Zahl der SprecherInnen einer Sprache in den Orten selbst und in ihrer Nachbarschaft ist daher die wichtigste Einflussgröße. Das konnten wir durch die Anwendung physikalischer Methoden formal zeigen und quantifizieren”, berichtet Katharina Prochazka. Das entwickelte Modell liefert so einen Beitrag zum grundlegenden Verständnis von Sprachwechsel, der in vielen Gebieten der Welt stattfindet und vor allem Minderheitensprachen betrifft.

Publikation in “PNAS”:

Quantifying the driving factors for language shift in a bilingual region. Katharina Prochazka, Gero Vogl, PNAS (2017)
DOI: 10.1073/pnas.1617252114

*Source: Universität Wien

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