Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Was uns Meeresmücken über Frühaufsteher verraten

Der Mensch, aber auch viele andere Organismen haben innere Uhren. Solche Uhren ticken jedoch von Individuum zu Individuum anders. Daher sind manche Menschen zum Beispiel Frühaufsteher, während andere erst spät müde werden.

Welche genetischen Faktoren hinter solchen “Chronotypen” stecken, haben die Neurobiologin Kristin Tessmar-Raible und ihr Team an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien untersucht. Die Meeresmücke Clunio marinus hat gleich zwei innere Uhren, denn sie richtet sich bei der Fortpflanzung nach der Sonne und dem Mond. Das Team um Tessmar-Raible und Postdoc Tobias Kaiser konnte nun Gene identifizieren, die dafür verantwortlich sind, und publiziert diese Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe von “Nature”.

Die Meeresmücke Clunio marinus lebt an den von Ebbe und Flut geprägten Küsten Europas. Dort hat gutes Timing eine existenzielle Bedeutung: Paarung und Eiablage der Mücken müssen genau dann stattfinden, wenn das Wasser so niedrig wie möglich steht. Dies ist immer nur während weniger Stunden an bestimmten Tagen der Fall, nämlich während des sogenannten Springniedrigwassers. Der Verlauf der Gezeiten – und somit auch der Zeitpunkt des Springniedrigwassers – werden sowohl durch die Sonne als auch durch den Mond bestimmt. Um den idealen Zeitpunkt der Fortpflanzung vorhersagen zu können, besitzt die Meeresmücke daher zwei innere Uhren: eine Tagesuhr, gestellt durch die Sonne; und eine einem Kalender vergleichbare Monduhr, gestellt durch den Mond.

Alternative Splicing-Varianten des Enzyms CaMKII bewirken eine Beschleunigung oder Verlangsamung der circadianen Uhr (Image copyright: Birgit Pöhn)

Alternative Splicing-Varianten des Enzyms CaMKII bewirken eine Beschleunigung oder Verlangsamung der circadianen Uhr (Image copyright: Birgit Pöhn)

Da das Springniedrigwasser aufgrund geografischer Gegebenheiten an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten auftritt, muss die Meeresmücke ihre Uhren dem Ort entsprechend “stellen”. Schon in den 1960er Jahren fanden WissenschafterInnen heraus, dass die Tagesuhren der Mücken entlang der europäischen Atlantikküste an den örtlichen Ablauf der Gezeiten genetisch präzise angepasst sind.

In der Folge untersuchte die Gruppe um die Neurobiologin Kristin Tessmar-Raible, wie diese Anpassungen auf molekularer Ebene erfolgen können. Ins Rollen gebracht wurde diese Arbeit von Postdoc Tobias Kaiser, der schon in seiner Doktorarbeit gezeigt hatte, dass sich auch die Monduhr an die Gezeiten anpasst. In seiner anschließenden Postdoc-Zeit an der Universität Wien und in enger Zusammenarbeit mit der Gruppe um Arndt von Haeseler vom Center for Integrative Bioinformatics Vienna (CIBIV, MFPL, Universität Wien und MedUni Wien) entschlüsselte er das Clunio-Genom und verglich die Gensequenzen zwischen Mücken mit unterschiedlichen Fortpflanzungszeiten. Das erlaubte, jene Gene zu identifizieren, welche zu einer Anpassung der Mond- und Tagesuhr bei der Meeresmücke geführt haben.

Weiterführende molekulare Arbeiten insbesondere durch die PhD-Studentin Birgit Pöhn führten dann zu einem ersten mechanistischen Modell für die “Feineinstellungen” der Tagesuhr. Im Rahmen der Forschungsplattform “Rhythmen des Lebens” der Universität Wien arbeitete sie eng mit den Teams um Thomas Hummel (Fakultät für Lebenswissenschaften, Universität Wien) zusammen. Eine Kollaboration mit dem Team von Florian Heyd an der Freien Universität Berlin steuerte weitere wichtige Experimente bei.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Clunio-Tagesuhr durch Veränderung an einem bestimmten Protein, genannt Kalzium-Calmodulin-abhängige Kinase II (CaMKII,) an ihre geografische Lage angepasst wird. “Durch die entstehenden unterschiedlichen Varianten von CaMKII kann die Tagesuhr entweder schneller oder langsamer laufen”, erklärt Tessmar-Raible: “Spannenderweise besitzen auch Menschen dieses Protein, und es hat sich in der Evolution kaum verändert. Wenn man an die unterschiedlichen menschlichen Chronotypen denkt, wirft das natürlich die Frage auf, ob CaMKII auch da eine Rolle spielen könnte.”

Zusätzlich ist das CaMKII-Protein eines der häufigsten Proteine im menschlichen Gehirn und wurde schon mit neuropsychiatrischen Krankheiten in Verbindung gebracht, die oftmals gemeinsam mit Störungen der Tagesuhr auftreten. “Unsere Studie wirft viele spannende, weiterführende Fragen auf: Neben Einsichten in die Modulation der Tagesuhr liefert unsere Arbeit auch mögliche Moleküle für die Modulation des ‘inneren Kalenders’, der Monduhr. Und beim Verständnis dieser Uhren steht die Biologie noch ganz am Anfang”, fügt Kaiser abschließend hinzu. Er wird insbesondere diesem Aspekt mit seiner eigenen Gruppe am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön nun weiter auf den Grund gehen.

Publikation in “Nature”

Tobias S. Kaiser, Birgit Poehn, David Szkiba, Marco Preussner, Fritz J. Sedlazeck, Alexander Zrim, Tobias Neumann, Lam-Tung Nguyen, Andrea J. Betancourt, Thomas Hummel, Heiko Vogel, Silke Dorner, Florian Heyd, Arndt von Haeseler, Kristin Tessmar-Raible. The genomic basis of circadian and circalunar timing adaptations in a midge.
DOI 10.1038/nature20151

*Source: Universität Wien

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