Winziges greifbar machen

Das Institut für Mineralogie und Petrographie verfügt über eine historische Sammlung von Kristallmodellen, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Adolf Pichler angelegt wurde. Mittlerweile zu wertvoll, um weiterhin im Unterricht eingesetzt werden zu können, wurde nach Ersatz gesucht. Schüler der HTL Fulpmes im Stubaital waren zur Stelle.

Etwa 98 Prozent der Materie auf unserer Erde besteht aus Kristallen. Bekannt sind sie vor allem als Edelsteine – zweifellos eine ihrer schönsten Erscheinungsformen. Kristalle spielen aber auch in vielen anderen Zusammenhängen wie etwa in verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Physik, Chemie, Mineralogie, Materialwissenschaften, Pharmazie bis hin zur Medizin eine wichtige Rolle. Dabei sind neben der Grundlagenforschung auch industrielle Anwendungen kristalliner Verbindungen von größter Bedeutung. Beinahe alle natürlichen oder auch künstlich hergestellten Gegenstände, die uns umgeben, bestehen aus Kristallen. Dementsprechend wichtig ist die Lehre von den Kristallen und ihren speziellen Eigenschaften, die so genannte Kristallographie, auch in den verschiedenen Studienrichtungen an der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften der Uni Innsbruck. „Kristalle zeichnen sich durch einen sehr regelmäßigen, symmetrischen Aufbau aus und lassen sich diesbezüglich in sieben Kristallsysteme einteilen“, erklären Richard Tessadri und Volker Kahlenberg vom Institut für Mineralogie und Petrographie. „Allerdings sind sie in der Regel winzig klein: Kristalle sind meist nur wenige Mikro- oder Nanometer groß und mit freiem Auge nicht sichtbar“. Damit für Studierende die Strukturen und Eigenschaften aber dennoch verständlich vermittelt werden können, sind Modelle nötig. Auf diese wird in den Vorlesungen auch zurückgegriffen – und das schon seit mehr als 120 Jahren.

Historische Sammlung

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts legte der Schriftsteller und Naturwissenschaftler Adolf Pichler für das damalige Institut für Mineralogie und Geognosie eine Kristallmodellsammlung an. Pichler war von 1867 bis 1890 Institutsvorstand und sah die Modelle als unverzichtbaren Teil in der Arbeit mit Studierenden. In 22 Schubladen eines Eichenschrankes werden 909 Modelle aufbewahrt, die etwa fünf bis sieben Zentimeter groß sind. Der überwiegende Teil besteht aus Birnen- oder Lindenholz, einige auch aus Gips oder Glas. Jedes Modell ist nummeriert und wird durch ein kleines, handgeschriebenes Zettelchen begleitet. „Holz ist grundsätzlich ein gut bearbeitbarer Stoff, wenn man aber bedenkt, wie exakt die Symmetrien und verschiedensten Formen dargestellt wurden, wird schnell klar, mit wie viel Aufwand diese Modelle erstellt wurden“, sagt der Mineraloge und Leiter der Arbeitsgruppe für angewandte Mineralogie und Kristallographie Volker Kahlenberg. Geliefert wurden die Modelle durch die Firma „Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor“, die auch noch heute im deutschen Heidelberg ihren Sitz hat. „Einige der Modelle wurden noch von Adolf Pichler selbst an manchen Stellen farbig bemalt, um ein noch besseres Verständnis der Formen und Flächen gewährleisten zu können“, erzählt Tessadri. Bis heute ist die Sammlung in Innsbruck beinahe vollständig erhalten.

Moderner „Ersatz“

Auch wenn es mit den heutigen Möglichkeiten kein Problem mehr darstellen würde: Auf eine digitale Darstellung der Kristalle am Computer wollten die Wissenschaftler ihre Lehre nicht reduzieren. „Wir finden es sehr wichtig, dass die Studierenden diese Formen auch einmal in der Hand gehalten haben und ihre Besonderheiten im wahrsten Sinn des Wortes ‚begreifen’ können“, ergänzt Kahlenberg. Die Modelle sind somit bereits durch die Hände von Generationen von Studierenden gewandert. Eine Tatsache, die Tessadri und Kahlenberg in den letzten Jahren mit immer mehr Sorge um einen fachgerechten Erhalt der Sammlung erfüllte. „Die Sammlung stellt nicht nur einen großen historischen, sondern auch finanziellen Wert dar“, verdeutlicht Tessadri. Um die Holz-Modelle in Zukunft nicht mehr allzu sehr zu strapazieren, sollten zumindest einige der Modelle durch neue ersetzt werden. „Aluminium schien uns hier der am besten geeignete Stoff zu sein. Wir wollten uns mit diesem Anliegen aber nicht einfach an eine Firma wenden, sondern das Tiroler Fachwissen junger Menschen vor Ort nutzen“, erklärt Kahlenberg. Ihre „Suche“ endete nach kurzer Zeit in Fulpmes: „Mit der HTL Fulpmes haben wir rasch einen kooperativen und engagierten Partner gefunden“, freuen sich die Wissenschaftler.

Ein kleiner audiovisueller Einblick:

CNC-Fräsen

Der Direktor der HTL in Fulpmes, Martin Schmidt-Baldassari, war von der Idee, neue Modelle aus Metall mithilfe von CNC-Fräsen in den Werkräumen ihrer Schule zu fertigen, sofort angetan. „Natürlich ist die exakte Umsetzung der speziellen Formen, Flächen und Symmetrien dieser Kristalle keine alltägliche Aufgabe“, sagt Schmidt-Baldassari. „Aber gerade deshalb waren schnell zwei Schüler gefunden, die sich dazu bereit erklärten, diese Herausforderung anzunehmen und im Rahmen ihrer Abschlussarbeit zu bearbeiten“. Vor etwa sechs Monaten wurde bereits mit der Arbeit begonnen, die zunächst noch am Computer stattfand. Volker Kahlenberg hatte einige der Modelle aus Holz in Computermodelle umgesetzt und den Schülern zur Verfügung gestellt. Mithilfe des „CAM-Systems“ programmierten Alexander Jank und Roland Artho, die gerade die 4. Klasse der Fachschule für Maschinen- und Fertigungstechnik besuchen, die „Aufgaben“ für die CNC-Fräsmaschine. „Aufgrund der Komplexität der Modelle mussten wir auf eine 5-Achs-CNC-Fräsmaschine zurückgreifen. Wir sind die einzige Schule in Tirol, die über dieses Gerät verfügt“, erklärt der Fachlehrer Harald Falschlunger, der die beiden Schüler betreut hat. Ausgehend von einem Aluminiumwürfel fertigte die CNC-Maschine in den letzten Wochen mehr als 400 Modelle. Der Aufwand war beträchtlich: Jede einzelne Fläche eines Kristallmodells musste separat programmiert werden, die Reihenfolge beim Fräsen in der Maschine sowie die Positionierung der Würfel für eine „Rundum-Bearbeitung“ machte viele Überlegungen erforderlich. „Diese komplexe Aufgabe bereitet die Schüler optimal auf ihren beruflichen Werdegang nach Abschluss der Schule vor“, ist Direktor Schmidt-Baldassari überzeugt.

Nach einigen Monaten intensiver Arbeit konnten die beiden Schüler nun ihre fertigen Modelle präsentieren. „Wir sind natürlich schon ein bisschen stolz auf das Ergebnis. Die Arbeit hat uns viel Spaß gemacht und wir haben neue Arbeitsschritte kennengelernt, die im regulären Unterricht gar nicht vorkommen“, sagen Alexander Jank und Roland Artho. Und dass die Studierenden an der Uni Innsbruck bald „ihre“ Kristallmodelle verwenden werden, freut die beiden ganz besonders. Auch Volker Kahlenberg und Richard Tessadri zeigten sich bei der „Übergabe“ begeistert. „Unsere Erwartungen wurden sogar noch übertroffen, hier wurde wirklich hervorragende Arbeit geleistet“, sind sich die beiden Wissenschaftler einig. „Unser großer Dank gilt dem Direktor und natürlich den Lehrern und Schülern“.

*Source: Universität Innsbruck

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