Evolutionäre Erfolgsgeschichte der Insekten enträtselt

Sie krabbeln, kriechen oder fliegen: Insekten haben die Welt erobert und sind die mit Abstand artenreichste Tiergruppe. WissenschafterInnen des internationalen Großprojekts 1KITE ist es gelungen, mit einem molekularen Datensatz von 1.478 Genen und neu entwickelten Analysenverfahren den Stammbaum der Insekten aufzuklären und deren evolutionäre Erfolgsstory zu enträtseln. Von Seiten der Universität Wien ist ein Team rund um den Evolutionsbiologen Günther Pass beteiligt. Die ersten Ergebnisse wurden aktuell in der renommierten Fachzeitschrift “Science” publiziert.

Insekten sind vor rund 480 Millionen Jahren aus marinen Vorfahren hervorgegangen und haben sich zur vielfältigsten und erfolgreichsten Tiergruppe entwickelt. Auf dem Land stellen sie den größten Anteil der tierischen Biomasse und haben dadurch die terrestrischen Lebensräume entscheidend geprägt. Um die stammesgeschichtliche Entwicklung der Insekten zu klären und zu datieren, haben sich WissenschafterInnen aus den verschiedensten Disziplinen zum Großprojekt 1KITE (1000 Insect Transcriptome Evolution) zusammengefunden.

“Biologische Stammbäume sind der notwendige Erklärungshintergrund und elementare Voraussetzung für sehr viele Forschungsfragen, man könnte sogar sagen deren Rückgrat”, erklärt Günther Pass vom Department für Integrative Zoologie der Universität Wien. Aus Österreich sind an diesem internationalen Projekt neun WissenschaftlerInnen der Universität Wien und des Naturhistorischen Museums beteiligt.

Günther Pass und seine MitarbeiterInnen Daniela Bartel und Nikola Szucsich haben zum internationalen Großprojekt 1KITE mit ihrer Expertise von den sogenannten Ur-Insekten beigetragen (Image copyright: Universität Wien).

Günther Pass und seine MitarbeiterInnen Daniela Bartel und Nikola Szucsich haben zum internationalen Großprojekt 1KITE mit ihrer Expertise von den sogenannten Ur-Insekten beigetragen (Image copyright: Universität Wien).

Molekulare Uhr kalibriert

Anhand der Häufigkeiten von Mutationen im Genom kann man das Alter von Aufspaltungen im Stammbaum grob abschätzen. Im 1KITE-Projekt wurde diese “molekulare Uhr” in einer richtungsweisenden Form mit Hilfe von Fossilien kalibriert, wodurch die Verlässlichkeit der Altersangaben stark verbessert wird. Demnach traten Insekten schon vor rund 480 Millionen Jahren erstmals auf, zeitgleich mit den ersten Landpflanzen. Bereits 100 Millionen Jahre später eroberten Insekten als erste Tiere den Luftraum und blieben für fast 200 Millionen Jahre die alleinigen Herrscher der Lüfte. Viele der heute noch lebenden Insektengruppen entstanden schon im Erdaltertum. Auch die Evolution von Insekten mit einem Puppenstadium in ihrer Entwicklung begann bereits vor etwa 350 Millionen Jahren. Insekten erreichten damit ihre erste Blütezeit lange vor dem Auftreten der Dinosaurier oder gar von Vögeln und Säugetieren. Die enorme Entwicklung der Artenvielfalt der Insekten erfolgte aber erst in der Kreidezeit in enger Verbindung mit der Evolution der Blütenpflanzen.

Die älteste Insektengruppe mit heute noch lebenden Vertretern sind die Protura oder Beintastler. Ihre Vorderbeine sind mit vielen Sinneshaaren besetzt und ersetzen die fehlenden Fühler. Sie sind winzig klein und leben versteckt im Boden (Image copyright: Manfred Walzl).

Die älteste Insektengruppe mit heute noch lebenden Vertretern sind die Protura oder Beintastler. Ihre Vorderbeine sind mit vielen Sinneshaaren besetzt und ersetzen die fehlenden Fühler. Sie sind winzig klein und leben versteckt im Boden (Image copyright: Manfred Walzl).

Zusammenführung von Kompetenzen

Die Rekonstruktion des Stammbaumes der Insekten war nur möglich durch die Zusammenarbeit von rund 100 renommierten ExpertInnen für molekulare Biologie, Morphologie, Paläontologie, Taxonomie, Embryologie und Bioinformatik. Geleitet wurde das dreijährige Projekt von Bernhard Misof (Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Deutschland), Karl Kjer (Rutgers Universität, USA) und Xin Zhou (Bejing Genomics Institute, VR China).

Die DNA-Sequenzierungen wurden am größten nationalen Forschungsinstitut Chinas, dem Bejing Genomics Institute, durchgeführt, das auch die komplette Finanzierung dafür übernommen hat. “Es war uns ein Anliegen, die lange Zeit vernachlässigte genetische Vielfalt innerhalb der Insekten mit einer Gruppe von exzellenten Wissenschaftlern zu analysieren”, erklären die Initiatoren.

Schwierige Analyse riesiger Datenmengen

Die Analysen bauen auf der Sequenzierung von Transkriptomen auf. Darunter versteht man die Gesamtheit der Gene, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Organismus aktiv sind und in RNA “transkribiert”, also umgeschrieben, werden. Das Transkriptom gibt somit Auskunft über einen großen und sehr wichtigen Teil der Erbinformation eines Organismus. Die Sequenzierung von Transkriptomen bietet zudem den Vorteil, dass nur Proteine analysiert werden. Dies spart Zeit, ohne viel Verlust an Qualität. “Nur so war es möglich, in einer so kurzen Zeitspanne diese Fülle an Daten zu analysieren”, so Harald Letsch vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien.

Daten für die Scientific Community

Ziel der ersten Publikation mit einem Datensatz von 144 ausgewählten Insekten ist die Analyse der Verwandtschaftsbeziehungen der Großgruppen. Sobald die Daten von allen Arten vorliegen, kann mit der Detailanalyse der Subgruppen begonnen werden.

Neben der Stammbaumrekonstruktion stellt das WissenschafterInnenteam aber auch erstmals umfassende Genomdaten von Insekten der Öffentlichkeit und damit auch anderen ForscherInnen zur Verfügung. Dadurch wird sowohl die Grundlagenforschung, als auch die angewandte Forschung für Jahre hinaus katalysiert werden. So wird es zum Beispiel möglich sein, die Stoffwechselwege unterschiedlicher Insektenarten sehr genau zu vergleichen und dieses Wissen in der Ressourcennutzung oder Schädlingsbekämpfung einzusetzen.

“Das 1KITE-Projekt ist mit seiner Interdisziplinarität und der Einbeziehung von Forschungsmuseen als Garanten der Langzeitarchivierung der Belegexemplare und Metadaten ein Lehrstück internationaler Kooperation. Derartige Forschungsnetzwerke werden immer stärker zum Charakteristikum internationaler Spitzenforschung”, so Günther Pass abschließend.

Weitere Informationen zum Projekt: www.1kite.org

*Source: Universität Wien

(Visited 37 times, 1 visits today)