Müllflut in Ghana

Erkennt die Goldküste Westafrikas ihren neuen Wertstoff?

Es ist kurz nach fünf Uhr morgens. Blassblaues Licht schiebt sich vom Horizont den Himmel entlang. In Ghana geht die Sonne auf. Für die Fischer des kleinen Küstenortes Prampram hat der neue Arbeitstag längst begonnen. Viele von ihnen sind bereits in ihren bunt verzierten Holzkanus auf dem offenen Meer – haben dort zu Dutzenden einen Teil der Nacht verbracht, um noch vor Sonnenaufgang ihre Netze auszubringen. In ein paar Stunden werden Sie wieder in ihre Heimat-Bucht einlaufen, die Fang-Körbe an ihre Frauen überreichen und darauf hoffen, dass heute genug Fisch dabei ist, um auf dem Markt Gewinn machen zu können. Denn es sind nicht immer nur die hierzulande meist gefangenen Anchovis, die aus dem Meer gezogen werden. Es landet auch massenhaft Müll in den Netzen, der anschließend aussortiert werden muss.

Die Strände in Ghana gleichen Müllhalden. Image credit: NABU.de

Die Strände in Ghana gleichen Müllhalden. Image credit: NABU.de

Ein eindeutig überregionales Problem, dass wir auch in Deutschland nur zu genau kennen. Und gegen das der NABU seit Jahren mit dem Meeresschutz-Projekt „Fishing for Litter“ vorgeht. Davon inspiriert, baten uns die ghanaischen Umweltorganisationen Friends of the Nation (FoN) und der BirdLife-Partner Ghana Wildlife Society (GWS) um Unterstützung. Das von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im Rahmen des Programms „Engagement für Afrika“ finanzierte NABU-Projekt startete im Juni 2013. Im November machte sich eine Delegation auf den Weg nach Ghana, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Dabei stellten wir inhaltliche und kommunikative Arbeitsansätze zum Thema „Müll im Meer“ in zwei Workshops vor, um gemeinsam mit den Partnerorganisationen nach Lösungsansätzen für die betroffenen Küstengebiete zu suchen.

Die Kinder in Tema kennen ihren Strand nicht anders als übersät mit Müll. Image credit: NABU.de

Die Kinder in Tema kennen ihren Strand nicht anders als übersät mit Müll. Image credit: NABU.de

Angekommen am Strand von Tema – der größten Hafenstadt Ghanas – werden wir von strahlenden Kindern begrüßt, die Räder schlagen und Handstand machen. Unter ihren Händen liegt so viel Müll am Boden verteilt, dass es uns schwer fällt, auch nur einen Fuß auf blanken Sand zu setzen. Das Meer gleicht einer schmutzigen Suppe, gespickt mit Einkaufstüten, Getränkedosen und kaputten Schuhen. Hinter uns, an der Grenze des Strandes zur nächstgelegenen Siedlung, türmen sich Müllmassen auf, in denen Schweine, Ziegen und Seevögel nach Essbarem herumwühlen. Wir erkennen auch Produkte aus Europa wieder: Bierdosen, Waschmittel- und Lebensmittelverpackungen. Selbst ohne unser Spülsaum-Monitoring, bei dem erfasst wird, was Wind und Strömung an repräsentativen Küstenabschnitten anschwemmen, ist schnell klar: Unsere ghanaischen Partner haben mit ganz anderen Müll-Problemen zu kämpfen als wir in Europa.

Ghanas Fischer bringen oft nicht nur Fisch mit an Land. Image credit: NABU.de

Ghanas Fischer bringen oft nicht nur Fisch mit an Land. Image credit: NABU.de

Müll zu Geld machen

Es gibt in Ghana kein entwickeltes Abfallwirtschaftssystem. Der meiste Müll landet in der Landschaft, wird dort dann verbrannt oder gelangt über die Flüsse und Lagunen ins Meer. Neben den schädlichen Einflüssen für Tiere, Mensch und Natur: Verschenktes Potential! Denn in der Müllkrise Ghanas steckt auch gleichzeitig eine Chance für das Land. „Das Geld liegt sozusagen auf der Straße“, meint GWS-Mitarbeiter Edwin D. Ametsikor. Das haben auch internationale Vertreter der Recyclingindustrie erkannt. Bei der Konferenz „informeller Abfallsektor in Ghana“ herrschte im Dezember laut der ZEIT-Redakteurin Jana Gioia Baurmann regelrechte „Goldgräberstimmung“: „Der stellvertretende Minister der lokalen Regierung sprach von Treibhauseffekt und Wasserverschmutzung und davon, dass Müll wertvoll ist.“ Doch noch hat sich diese Erkenntnis nicht durchgesetzt. Nicht nur der Strand in Tema gleicht einer Müllkippe. Auf unserer Reise begegnen uns unzählige Strände, auf die Touristen nicht einen Fuß setzen würden. Denn ein weiteres Problem in Ghana sind die fehlenden oder nur unzureichend vorhandenen Sanitäranlagen. Die Notdurft wird am Strand verrichtet, das Meer als Spülung genutzt. So ist es gelernt und fast niemand stört sich daran – bis auf die Naturschutzorganisationen.

„Müll ist wertvoll!“, beton GWS-Referetin Joyce Dzikunu. „Er kann viele Jobs schaffen und unserem Land Geld einbringen. Das müssen wir den Leuten noch stärker vermitteln.“ Zusammen mit ihren Kollegen will Dzikunu vor allem die junge Generation zum Umdenken anregen und veranstaltet dafür Müllsammelaktionen an Küsten und Umweltbildungs-Camps an Schulen. Dort aufgestellte Abfalleimer sollen den Schülern zeigen, dass Abfall noch weiter verwendet werden kann: Müll als neuer Wertstoff der ehemaligen „Goldküste Westafrikas“. So werden die Säcke mit den separat gesammelten Getränkeplastiktütchen, aus denen ein Großteil der Bevölkerung sein tägliches Wasser trinkt, bei den Schulen von Müllverwertungsgesellschaften abgeholt und recycelt. Genau so eine leere Trinkwassertüte der Firma Nestlé zieht die Frau eines Fischers aus einem der Fang-Körbe von Prampram – und lässt sie direkt neben sich zu Boden fallen. Das Meer wird nachher kommen und den Strand wieder aufräumen. So wie jeden Tag.

von Anna-Beeke Gretemeier

*Source: NABU.de

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