Das neue Selbstbewusstsein des Winters

Winter? Was für ein Winter bitte schön? Kälte und Eis kennt man
dieser Tage nur aus den Erzählungen von Bekannten auf der anderen
Seite des atlantischen Ozeans. In Mitteleuropa hat man hingegen das
Gefühl, dass der Herbst direkt in den Frühling übergegangen ist und
der Winter Hausarrest hat. Aber jede Strafe ist einmal abgesessen und
so soll es im heutigen Thema des Tages um den Kampf der kalten gegen
die milden Luftmassen gehen.

Die Ausgangssituation: Im Dezember wie auch im Januar befand sich
über dem nördlichen Ostatlantik dauerhaft ein steuerndes
Tiefdruckzentrum irgendwo im Seegebiet zwischen Island und den
Britischen Inseln. Mal weiter westlich, mal weiter östlich. Den
dortigen Inselbewohnern hatte diese Tiefdruckbrutstätte immer neue,
zum Teil heftige Stürme und viel, viel Regen beschert. Wie ein
Schaufelradbagger drehte sich der Tiefdruckkomplex entgegen des
Uhrzeigersinns und konnte so wiederholt sehr milde Luftmassen aus
Südwesten, teils sogar aus Süden, zu uns transportieren. Damit lag in
Deutschland die Durchschnittstemperatur im Dezember im Schnitt um 2.7
Grad über dem vieljährigen Mittelwert. Im Januar liegt die positive
Abweichung sogar bei über 5 Grad, wenn man nur die ersten 7 Tage
berücksichtigen würde.

Während sich in den vergangenen Wintern die milden atlantischen
Luftmassen häufig mit den kalten Luftmassen aus Osten und Norden
duellierten, hat sich in diesem Winter die Kälte wie ein zahmes
Lämmchen weit nach Russland und zum Nordpol zurückgezogen. Der Winter
hat es in Europa aber auch schwer. Er kann nicht einfach ungestört
seine kalten Gesellen von der Arktis in den Süden schicken, muss er
doch fürchten, dass sie durch viele Hindernisse immer wieder
ausgebremst werden. Da gibt es zum einen die vielen Wasserflächen,
die die Wärme gut speichern können und die kalte Luft auf dem Weg
nach Süden wie eine Herdplatte von unten wärmen und ihr damit die
Kraft nehmen. Zum anderen sind da Hochgebirge wie die Alpen oder die
Pyrenäen, an denen die Kaltluft wie an einer Wand abprallt und Umwege
gehen muss.

Stattdessen hat der Winter seine ganze Kraft auf dem
nordamerikanischen Kontinent zur Geltung gebracht, wo weder Wasser,
noch von West nach Ost ausgerichtete Gebirge ein Hindernis
darstellen. Das hat dem Winter einen grandiosen Sieg gegen die milde
Luft beschert und neues Selbstvertrauen geschaffen. Vergessen sind
die Niederlagen aus der Vergangenheit und so schmiedet die kalte
Jahreszeit einen Plan, wie sie nun auch Europa erobern kann. Die
Pläne liegen mir aktuell vor und ich möchte sie Ihnen nicht
verheimlichen.

Es gibt zwei Möglichkeiten. So könnte man ein Hochdruckgebiet über
dem nördlichen Ostatlantik positionieren, irgendwo dort, wo gerade
Tief Christina liegt. In Kombination mit einem Tief über Osteuropa
könnten damit direkt kalte Luftmassen polaren Ursprungs aus Norden
angezapft werden. Angesichts der Stärke des Atlantiks lässt sich
diese Möglichkeit aber derzeit nicht verwirklichen. Eine zweite Idee
wäre ein Hochdruckgebiet über Skandinavien zu positionieren und
tiefen Luftdruck über dem Mittelmeerraum. Dann könnten kontinentale
Luftmassen aus Russland heran transportiert werden. Das Problem …
die milde Luft hat sich bis weit nach Osten vorgearbeitet und kalte
Luftmassen sind derzeit weit weg.

Aber der Winter ist clever und er möchte es nun wie folgt machen.
Zunächst zieht er seine Truppen über dem nordamerikanischen Kontinent
zurück. Diese haben sich nämlich auch über dem Nordwestatlantik breit
gemacht und dort aufgrund der großen Temperaturgegensätze dem milden
Schaufelradbagger immer neue Kraft verschafft. Mit dem Rückzug der
Kaltluft aus diesem Gebiet wird dem Atlantik also quasi die Energie
genommen. In einem zweiten Schritt sammelt der Winter seine kalten
Mitstreiter über Nord- und Nordosteuropa. Hilfsmittel dafür ist ein
kräftiges Tief, das morgen bei uns liegt und später über die
baltischen Staaten nach Russland zieht. Damit kann rückseitig die
kalte Luft vom Pol angesaugt werden. In einem dritten und finalen
Schritt lockt Väterchen Frost die atlantischen Tiefdruckgebiete auf
eine weit südliche Zugbahn in Richtung Mittelmeerraum. Dadurch kann
Anfang nächster Woche ein kräftiges Hoch über Skandinavien und dem
Nordmeer platziert werden und die Strömung über Mitteleuropa auf
östliche Richtungen drehen. Nun wäre der Weg frei für die kalte
Streitkraft, die im weiteren Verlauf aus Nordosteuropa zu uns strömen
könnte.

Ob der Plan aufgeht ist zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht
sicher. Es gibt Modellergebnisse, die das so sehen. Andere Lösungen
belassen aber die kalte Luft über Osteuropa oder liefern nur einen
kurzen Streifschuss. Entschieden ist da noch nichts, aber die Anzahl
der Winterunterstützer hat im Vergleich zu gestern deutlich
zugenommen.

Nun können gerne Wetten abgeschlossen werden, ob der Plan aufgeht
oder ob nicht doch zu viel Übermut im Spiel gewesen ist. Am
Wochenende sind wir bestimmt schlauer.

Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.01.2014

*Source: Deutscher Wetterdienst

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